Wenn Frauen nicht mehr lieben
Jahrhundert ist das Jahrhundert der Dekonstruktion. Alles wird aufgehoben, verändert, demontiert, und eben nicht – wie es dem weiblichen Prinzip entspräche – bewahrt. Am Beispiel des Massakers von Luxor (Ägypten). Die Leute hielten an ihrem Reiseprogramm fest. Die Tempel wurden weiter besucht, als sei nichts geschehen. Wenigstens blieben die Touristenbasare am Westufer des Nils am Tag nach dem Attentat geschlossen. »Mubarak zeigte sich darüber wenig erfreut. Er meinte, das Leben müsse weitergehen. Vor laufender Kamera forderte er die Besitzer auf, ihre Läden wieder zu öffnen …« (Neue Zürcher Zeitung vom 20.11.1997), ein Beispiel für die Vernachlässigung des weiblichen zugunsten des männlichen Prinzips.
Wirklich optimal ist es, wenn beide Prinzipien miteinander in einem Gleichgewicht stehen, wenn Mann und 176
Frau ihre Stimme bei derselben Sache zusammen ein-fließen lassen. Deshalb ist es für unsere Gesellschaft so verheerend, wenn Frauen nun auch lauthals das männliche Prinzip verkünden, ohne es selbst zu merken.
Das Spielerische aber – und hier sei wiederum Winnicott
erwähnt, der die Theorie des intermediären oder des spielerischen Raumes entwickelt hat – integriert beide, das Männliche und das Weibliche.
Das Spielerische überhaupt zeugt von einer guten Integration vom weiblichen und männlichen Prinzip. Es ist weder Starrheit noch Bewegung allein. Bemerkenswert ist auch Folgendes. In dem Moment, wo beide polare Gegensätze zusammenkommen, sind wir ungeheuer berührt. Dann wird Wahrheit offenbar. Ein gutes Beispiel dafür ist der hervorragende Film von Mike Leigh, der 1996 in unseren Kinos lief. Eine zur Adoption freigegebe-ne Tochter sucht ihre leibliche Mutter. Sie findet sie. Die Mutter erweist sich als schwierige Person, mit vielen persönlichen Problemen, nicht gerade das, was man sich unter einer tollen Mutter vorstellt. In dem Moment aber, in dem die Mutter – die zunächst von ihrer Tochter nichts wissen wollte – sich zu ihr bekennt, sie als Tochter anerkennt und gleichzeitig die Tochter die Mutter als ihre Mutter anerkennt und damit aufwertet, kommt es zu einem Höhepunkt der Gefühle des Glücks. Auch die Traurigkeit der Situation wird im Film nicht untergraben. Wenn die Adoptivtochter ihre lang gesuchte Mutter wirklich findet, und beide sich bejahen und anerkennen, hat der Zuschauer ein Gefühl tiefster Ergriffenheit.
Es wäre wünschenswert, wenn die natürlichen Anlagen der Frauen in ihren Tätigkeiten inbegriffen und integriert waren. Frauen sollten sich nicht mehr männlichen Beschäftigungsmodellen anpassen, sondern lernen, diese Aufgaben den weiblichen Bedürfnissen anzupassen. Sie 177
sollten ihre natürlichen Neigungen, Vorlieben und Prädis-positionen bewahren und kultivieren.
Insgesamt hieße dies, daß die Gesellschaft vermehrt die Bedürfnisse der weiblichen Psyche berücksichtigen muß.
Anstatt das zu erstreben, was Männer schon haben, ginge es darum, einen eigenen weiblichen Weg zu gehen.
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3. Das brachliegende
Selbstwertgefühl der Frau
Eigentlich haben Frauen eine stabilere Identität als Männer, sagt die Psychoanalytikerin Agnes Oppenheimer, die sich eingehend mit Fragen der Geschlechtsidentität beschäftigt hat. Auch der Jugendpsychologe Allan Guggenbühl betont in seinem in einschlägigen Frauenkreisen große Empörung auslösenden Buch »Männer, Mythen, Mächte«, daß Frauen »aus sich selbst heraus schöpfen«, während Männer immer auch Mythen brauchen, um sich in dieser Welt zurechtzufinden. Männer müssen Pläne machen, Abenteuer austüfteln, Welt oder Sachverän-derungsprojekte ausdenken können. Frauen sollen viel mehr aus sich heraus leben können. Frauen arbeiten aus psychologischen Motiven, Männer suchen in der Arbeit Anschluß an einen Mythos.
Man kann damit einverstanden sein oder auch nicht.
Wenn es wirklich so sein sollte – und dies würde sich mit der stabileren Identität von Oppenheimer decken –, so muß es sich wohl um stark verschüttete weibliche Urkräfte handeln. Denn betrachtet man die Frauen von heute, gewinnt man kaum den Eindruck, daß sie aus sich selbst heraus schöpfen und selbstbewußt sind. Denn vordergründig aufgestellt und »selbstbewußt« nach außen heißt noch lange nicht auch selbstbewußt im Inneren. Was nach außen demonstriert wird, ist oft nur eine Flucht nach vorne. So als sei alles in bester Ordnung. Dahinter stecken dann leider nur allzu oft das heulende Elend und eine
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