Wenn Frauen zu sehr lieben
Alkoholikern, und Töchter von Alkoholikern tendieren dazu, Alkoholiker zu heiraten. Eine esssüchtige Frau ist darauf ausgerichtet, ihre Nahrung, ihren Körper und ihren Partner durch ihre Willenskraft zu kontrollieren. Brenda und ich hatten wirklich allerhand therapeutische Arbeit vor uns.
«Erzählen Sie mir etwas von sich», bat ich sie so behutsam wie möglich. Ich wusste, was daraufhin kommen würde. Natürlich bestand das meiste, was sie mir am ersten Tag erzählte, aus Lügen: Es gehe ihr gut, sie sei glücklich, sie wisse nicht, was in dem Geschäft eigentlich passiert sei, sie könne sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, sie habe vorher nie etwas eingesteckt. Sie fuhr fort, mir zu erklären, ihr Anwalt sei sehr nett, genau wie ich offensichtlich sehr nett sei. Über diesen Vorfall müsse jedoch unbedingt Stillschweigen bewahrt werden, weil niemand sonst die Sache so verstehen würde, wie es der Anwalt und ich täten. Die Schmeichelei war geplant: Ich sollte mit ihr ein heimliches Einverständnis darüber herstellen, dass alles in Ordnung war, um sie in ihrer Phantasie zu unterstützen, die Verhaftung sei ein Irrtum gewesen, ein unangenehmer Zufall, ein Streich, den ihr das Schicksal gespielt hatte, und sonst nichts.
Glücklicherweise lag einige Zeit zwischen ihrem ersten Gespräch bei mir und der endgültigen Gerichtsentscheidung. Da sie wusste, dass ich in Kontakt mit ihrem Anwalt stand, versuchte sie weiterhin, eine «gute Klientin» zu sein. Sie hielt jeden Termin ein und wurde nach einiger Zeit langsam ehrlicher – fast gegen ihren Willen. So konnte sie auch die Erleichterung spüren, die mit der Erfahrung, nicht mehr lügen zu müssen, verbunden ist. Schon bald war ihr die therapeutische Arbeit an sich mindestens genauso wichtig wie der Eindruck, den eine Therapie auf den zuständigen Richter machen würde. Zu dem Zeitpunkt ihrer Verurteilung (sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung und volle Entschädigungsleistung; zusätzlich vierzig Stunden gemeinnütziger Arbeit, die sie in einem städtischen Mädchenheim ableistete) arbeitete sie so hart daran, ehrlich zu sein, wie sie vorher daran gearbeitet hatte, zu vertuschen, wer sie war und was sie tat.
Im Verlauf der dritten Sitzung begann sich abzuzeichnen, was Brendas wirkliche Geschichte war. Zunächst konnte sie nur zögernd und vorsichtig darüber sprechen. In dieser Sitzung sah sie sehr müde und verkrampft aus, und als ich darüber eine Bemerkung machte, räumte sie ein, dass sie seit etwa einer Woche unter Schlafstörungen litt. Ich fragte sie, woran das läge.
Zunächst machte sie das anstehende Gerichtsurteil dafür verantwortlich, aber diese Erklärung klang nicht allzu glaubwürdig, und so tastete ich mich weiter vor. «Gibt es irgendetwas anderes, das Ihnen in letzter Zeit Sorgen macht?»
Sie kaute und biss auf ihren Lippen herum. Dann brach es plötzlich aus ihr hervor: «Ich habe meinem Mann gesagt, dass er ausziehen soll, und jetzt wünsche ich mir, ich hätte es nicht getan. Ich kann nicht schlafen, ich kann nicht arbeiten, ich bin das reinste Nervenbündel. Dabei habe ich gehasst, was er tat: Er trieb sich vor aller Augen mit einem Mädchen von der Arbeit herum. Aber ohne ihn auszukommen fällt mir schwerer, als es mit ihm auszuhalten. Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich machen soll, und frage mich, ob nicht alles sogar mein Fehler war. Er hat nämlich schon immer gesagt, ich wäre zu kühl und distanziert, in seinen Augen also keine richtige Frau. Ich fürchte, er hatte recht. Es stimmt ja, oft war ich wütend auf ihn und verkroch mich, aber eigentlich nur wegen seiner ständigen Kritik. Ich habe immer wieder zu ihm gesagt: ‹Wenn du willst, dass ich dir gegenüber auftaue, dann musst du mich auch so behandeln, als würdest du mich mögen. Mir mal was Nettes sagen, statt mir dauernd zu erzählen, wie schrecklich, dumm oder unattraktiv ich bin.›»
Sobald sie diesen Satz ausgesprochen hatte, bekam sie Angst. Sie verzog die Augenbrauen nach oben und begann, all das in Abrede zu stellen, was sie gerade erst zugegeben hatte. Begleitet von hektischen Handbewegungen sagte sie beinahe entschuldigend: «Wir haben uns eigentlich nicht richtig getrennt. Es ist eine Art Erholungspause voneinander. Und Raymond ist schließlich nicht superkritisch. Ich glaube, es tut mir auch ganz gut, wenn er mir mal seine Meinung sagt. Manchmal bin ich sehr müde, wenn ich von der Arbeit heimkomme, und dann möchte ich nicht mehr
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