Wenn Frauen zu sehr lieben
selbstauferlegten Fehlernährung auf ihr Nervensystem war Brendas geistiger Zustand von Verwirrung, Angst und Zwangsvorstellungen geprägt.
Auf der Suche nach Befreiung vom inneren Aufruhr fand Brenda – ähnlich wie ihre Mutter – Trost bei einer Gruppe religiöser Fanatiker, die ihre Zusammenkünfte auf dem Campus abhielten. In diesem Kreis lernte sie ein Jahr vor dem College-Abschluss ihren zukünftigen Ehemann kennen, Raymond, einen Mann vom Typ «geheimnisvoller Fremder», der sie gerade wegen seiner mysteriösen Art faszinierte. Brenda war an Geheimnisse gewöhnt, und er hatte genug davon. In den Geschichten, die er erzählte, und den Namen, die er fallen ließ, fanden sich immer wieder Hinweise darauf, dass er in seiner Heimatstadt etwas mit organisierten Verbrechen zu tun gehabt hatte, genauer gesagt mit illegalen Wetten und Glücksspiel. Er machte vage Andeutungen über große Geldsummen, die er verdient und ausgegeben hatte, über schicke Autos und schicke Frauen, Nachtclubs, Alkohol und Drogen. Und nun hatte er sich in einen ernsthaften Studenten verwandelt, der in einem ruhigen Städtchen im Mittelwesten aufs College ging und in einer religiösen Gruppe für junge Menschen aktiv war, nachdem er seine zwielichtige Vergangenheit zurückgelassen hatte – auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Aus der Tatsache, dass dabei sogar der Kontakt mit seiner Familie abgebrochen war, schloss Brenda, dass sein Abschied von der Vergangenheit unter zeitlichem und auch sonstigem Druck stattgefunden hatte, aber sie war von seinem dunklen, mysteriösen Vorleben und seinem offenbar aufrichtigen Willen zur Veränderung so beeindruckt, dass sie nicht das Bedürfnis verspürte, seine Vergangenheit genauer zu durchleuchten. Schließlich gab es auch in ihrem Leben Geheimnisse.
Brenda und Raymond verliebten sich, wobei jeder vorgab, etwas anderes zu sein, als er wirklich war – er ein kleiner Krimineller im Gewand eines Chorknaben, sie eine Esssüchtige, als Modepuppe verkleidet. Aber sie verliebten sich nicht ineinander, sondern in die jeweils vom anderen geschaffene Illusion. Dass jemand liebte, was sie zu sein vorgab, besiegelte Brendas Schicksal. Nun musste sie die Täuschung unter erschwerten Bedingungen aufrechterhalten, denn sie war nicht mehr allein. Größerer Druck, größerer Stress, größeres Bedürfnis, zu essen, zu erbrechen, zu verbergen.
Raymonds Enthaltsamkeit von Zigaretten, Alkohol und Drogen hielt an, bis er erfuhr, dass seine Familie nach Kalifornien gezogen war. Dieser Umzug schien ihm den idealen geographischen Abstand zu seiner kriminellen Vergangenheit zu bieten; er konnte also zu seiner Familie und seinen alten Verhaltensweisen zurückkehren, ohne dabei das geringste Risiko einzugehen. Er packte sofort die Koffer für sich und Brenda, und beide machten sich auf gen Westen.
Kaum hatten sie die Reise angetreten, veränderte sich sein Wesen schlagartig, brach das wieder durch, was er vor der Bekanntschaft mit Brenda gewesen war und was er überwunden zu haben glaubte. Brendas Tarnung ließ sich hingegen aufrechterhalten, bis sie in das Haus seiner Eltern zogen. Dort lebten einfach zu viele Menschen, denen es sicher aufgefallen wäre, wenn sie sich häufig übergeben hätte. Außerdem setzten die veränderten Lebensumstände Brenda unter einen derartigen Druck, dass ihre Anfälle von Heißhunger immer häufiger auftraten. In kürzester Zeit hatte sie vierzig Pfund zugenommen, und Raymonds schöne blonde Frau verschwand unter einer Speckhülle, die ihr das Aussehen einer Matrone verlieh. Raymond war wütend, fühlte sich betrogen und ließ sie zu Hause sitzen, während er ausging, um zu trinken und sich nach Frauen umzusehen, die ihm gefielen, so wie Brenda ihm früher einmal gefallen hatte. Aus Verzweiflung aß sie mehr denn je und versprach sich und Raymond, dass sie sofort abnehmen würde, wenn sie nur endlich ihre eigenen vier Wände hätten. Als sie schließlich in ein kleines Reihenhaus gezogen waren, nahm Brenda so rapide ab, wie sie vorher zugenommen hatte, aber Raymond hielt sich nur noch selten zu Hause auf und nahm daher die Veränderung kaum zur Kenntnis. Sie wurde schwanger und hatte im vierten Monat eine Fehlgeburt. Raymond war nicht bei ihr – er verbrachte die Nacht woanders.
Mittlerweile glaubte Brenda, was geschah, sei allein ihr Fehler. Der Mann, der früher einmal fröhlich und glücklich gewesen war, der dieselben Wertvorstellungen, denselben Glauben wie sie gehabt
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