Wenn Frauen zu sehr lieben
Mutter zu werden. Aber als sie fünfzehn war, begann ihr Körper plötzlich die Auswirkungen ihres ungeheuren Nahrungsmittelkonsums zu zeigen. Als sie achtzehn Jahre alt war, wog sie fast 110 Kilogramm und war so verzweifelt und unglücklich wie nie zuvor. Ihr Vater, dessen Lieblingskind sie einmal gewesen war, sagte nun Dinge zu ihr, die ihr weh taten, und er verglich sie abfällig mit ihrer Mutter. Er hätte so etwas natürlich nicht getan, wenn – der Alkohol nicht gewesen wäre, aber er trank mittlerweile fast ununterbrochen, selbst wenn er zu Hause war, was nur noch selten vorkam. Ihre Mutter betete weiterhin und lobte den Herrn, während ihr Vater trank und sich herumtrieb, und Brenda aß und versuchte, die Panik in ihr nicht hochkommen zu lassen.
Sie ging aufs College. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie fort von daheim, fühlte sich schrecklich einsam und sehnte sich nach dem Trost ihrer Eltern, die sie gleichzeitig bemitleidete. Dort im College fand sie eines Abends etwas Unglaubliches heraus. Allein in ihrem Zimmer hatte sie sich wieder einmal, heißhungrig, mit Essen vollgestopft. Da entdeckte sie, dass sie fast alles erbrechen konnte, also für ihre Völlerei nicht mit Gewichtszunahme bestraft wurde. Schon bald gab ihr die Kontrolle, die sie nun über ihr Gewicht hatte, eine so tiefe Befriedigung, dass sie zu fasten begann, und das bisschen, was sie aß, wieder erbrach. Damit verlagerte sich ihre zwanghafte Essstörung vom bulimischen ins anorexische Stadium.
In den darauf folgenden Jahren kam es bei Brenda zu wiederholten Phasen von Fettleibigkeit, die immer wieder durch extremes Abmagern abgelöst wurden. In all der Zeit erlebte sie keinen einzigen Tag, an dem sie nicht völlig auf Essen fixiert gewesen wäre. Jeden Morgen erwachte sie mit der Hoffnung, der heutige Tag würde sich vom gestrigen unterscheiden, und jeden Abend ging sie mit dem Vorsatz zu Bett, am nächsten Tag «normal» zu sein: Aber ihr Heißhunger war so stark, dass sie manchmal sogar nachts davon aufwachte und ihren Vorsatz sofort wieder brach. Brenda verstand überhaupt nicht, was eigentlich mit ihr geschah. Sie wusste nicht, dass sie eine Essstörung hatte, wie sie häufig bei Töchtern von Alkoholikern und bei Kindern von Esssüchtigen auftritt. Sie hatte keine Ahnung, dass sie genau wie ihre Mutter mit einer Überempfindlichkeit und Abhängigkeit auf gewisse Nahrungsmittel reagierte (besonders auf raffinierte Kohlehydrate), die fast genau der Überempfindlichkeit und Abhängigkeit ihres Vaters in Bezug auf Alkohol entsprechen. Keiner von ihnen konnte auch nur die geringste Menge des entsprechenden Suchtmittels zu sich nehmen, ohne damit sofort ein intensives Verlangen nach immer mehr auszulösen. Brendas Verhältnis zum Essen, ganz besonders zu allen zuckerhaltigen Backwaren, war – gleich dem ihres Vaters zum Alkohol – von einem langwierigen, vergeblichen Kampf um die Kontrolle über das Suchtmittel bestimmt.
Brenda fuhr fort, die Methode zu praktizieren, die sie schon vor Jahren auf dem College «erfunden» hatte: zu essen und sich anschließend zu übergeben. Ihre Isolation wuchs, ihre Geheimhaltungsmanöver wurden immer komplizierter und übertriebener. Aber das lag nicht nur an ihrer Krankheit: Auch ihre Familie trug in vielerlei Hinsicht zu diesem Verhalten bei. Brendas Familie wollte nichts hören, worauf sie nicht mit einem «Oh, das ist aber nett» antworten konnte. Es gab nirgendwo einen Freiraum für Schmerz, Angst, Einsamkeit, Ehrlichkeit, keinen Raum für die Wahrheit über Brenda und ihr Leben. Weil ihre Eltern die Wahrheit ständig bemäntelten, schien es für Brenda nur natürlich, dasselbe zu tun, um das familiäre Gleichgewicht nicht ins Wanken zu bringen. Mit ihren Eltern als gleichsam heimlichen Komplizen verstrickte sie sich immer tiefer in die Lüge, die ihr Leben beherrschte: Wenn sie es schaffen konnte, äußerlich einen guten Eindruck zu machen, dann würde auch innerlich alles gut werden – oder zumindest ruhig.
Selbst als sie ihre Figur über längere Zeitperioden unter Kontrolle halten konnte, kam sie ihrer inneren Unruhe nicht bei. Obwohl sie tat, was sie konnte, um gut auszusehen – sie trug Designerkleidung, modisches Make-up und war immer schick frisiert –, reichte es doch nicht aus, um ihre Angst und das Gefühl von innerer Leere loszuwerden. Wegen dieser Gefühle, die wahrzunehmen sie sich beharrlich weigerte, aber auch wegen der katastrophalen Auswirkungen der jahrelangen
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