Wenn Frauen zu sehr lieben
Kindheit unter ständiger Anspannung litten und/oder Phasen außerordentlicher Spannungen durchmachen mussten (wenn ein Elternteil Alkoholiker war oder eine andere schwere organische Störung aufwies, kann zusätzlich noch eine ererbte organische Anfälligkeit für Depressionen bestehen). Solche Frauen suchen oft unbewusst die machtvolle Stimulation durch eine schwierige und dramatische Beziehung, um ihre Drüsen zum Ausstoß von Adrenalin anzuregen. Dieses Verhalten ähnelt dem eines Menschen, der einem müden, überarbeiteten Pferd die Peitsche gibt, um noch mehr Leistung aus dem erschöpften Tier herauszuholen. Fällt diese Stimulation nun aber weg – sei es, dass die Beziehung abgebrochen wird, sei es, dass der Partner sich tatsächlich positiv verändert-, dann verfällt eine Frau, die zu sehr liebt, gewöhnlich in Depressionen. Wenn sie momentan keinen Partner hat, wird sie verzweifelt versuchen, die letzte gescheiterte Beziehung wieder aufzunehmen oder einen anderen, ebenfalls schwierigen Mann zu finden, weil sie auf die mit einer solchen Beziehung verbundene Stimulation nicht verzichten kann. Sollte hingegen ihr Partner beginnen, seine Probleme ernsthaft anzugehen, um gesund zu werden, dann sehnt sie sich vielleicht nach einer anderen Beziehung: nach einem Mann, der ihr mehr Aufregung, mehr Stimulation bietet – der es ihr ermöglicht, ihren eigenen Gefühlen und Problemen weiterhin aus dem Weg zu gehen.
Auch hier sind die Parallelen zu Drogenmissbrauch und -entzug offensichtlich: Um ihre eigenen Gefühle nicht spüren zu müssen, benutzt eine solche Frau den Partner wie eine Rauschdroge. Sich selbst auszuhalten, die eigenen schmerzhaften Gefühle zuzulassen – das sind aber die unabdingbaren Voraussetzungen für ihre seelische und körperliche Genesung. Und dieser Prozess lässt sich ohne Übertreibung mit dem Entzug von einer Droge wie Heroin vergleichen. Die Angst, der seelische Schmerz und die körperlichen Qualen sind gleich groß, genau wie die Versuchung, sich einen anderen Mann zu suchen, sich einen neuen «Schuss» zu setzen.
Eine Frau, die ihre Beziehung wie eine Droge einsetzt, leugnet diese Tatsache genau wie jeder Suchtmittelabhängige. Dementsprechend fürchtet sie sich genauso sehr davor und wehrt sich dagegen, von ihren Zwangsvorstellungen und ihrem emotional überfrachteten Verhältnis zu Männern Abschied zu nehmen. Dennoch bewirkt eine behutsame, aber bestimmte Konfrontation im Allgemeinen, dass sie das Ausmaß und die Macht ihrer Beziehungssucht erkennen und somit verstehen kann, dass sie von Denk- und Verhaltensmustern beherrscht wird, über die sie jegliche Kontrolle verloren hat.
Der erste Schritt in der Behandlung einer Frau mit derartigen Problemen besteht darin, ihr klarzumachen, dass sie – wie jede(r) andere Abhängige – an einer
Krankheit
leidet, die diagnostiziert werden kann, die sich ohne Behandlung verschlimmert und bei der – eine bestimmte Behandlung vorausgesetzt – gute Heilungschancen bestehen. Weiterhin muss sie wissen, dass sie vom Schmerz und von der Vertrautheit einer für sie schädlichen Beziehung abhängig ist und dass es sich um eine Krankheit handelt, von der sehr viele Frauen betroffen sind und deren Wurzeln in der Kindheit liegen: in den gestörten Beziehungen der Familienmitglieder untereinander.
Aber wie sollte eine Frau, die – wie Margo – zu sehr liebt, allein herausfinden, wie schlecht es um sie steht und dass ihre Krankheit – ohne Behandlung – unaufhaltsam voranschreitet, sie letztendlich das Leben kosten kann? Genauso wenig lässt sich bei jeder anderen Krankheit erwarten, dass der Patient seine Symptome genau zu benennen weiß, sowohl den eigenen Zustand als auch die angemessene Behandlung errät. Gerade weil die Krankheit «Zu-sehr-lieben» von Verleugnung begleitet wird, wäre es unwahrscheinlich, dass eine Frau wie Margo eine zutreffende Selbstdiagnose vornehmen könnte – genauso unwahrscheinlich, wie eine zutreffende Selbstdiagnose bei einem ebenso kranken Alkoholiker ist. Und weder die Frau, die zu sehr liebt, noch der Alkoholiker können hoffen, ohne fremde Unterstützung oder nur mit Hilfe eines Arztes oder Therapeuten gesund zu werden; denn um gesund zu werden, müssen sie gerade dem entsagen, was ihnen Erleichterung zu verschaffen scheint.
Therapie allein kann nicht genug bieten, um ein echtes Gegengewicht zur Abhängigkeit des Alkoholikers vom Alkohol oder zur Abhängigkeit der beziehungssüchtigen Frau von
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