Wenn Frauen zu sehr lieben
Haus einer Freundin ein, bis ich Arbeit gefunden hatte. Dann besorgte ich mir mit drei anderen Mädchen eine Wohnung und stürzte mich in ein ziemlich ausschweifendes Leben.
Dabei hatte ich absolut keine eigenen Gefühle. Ich war wie erstarrt. Das einzige, was ich überhaupt noch empfinden konnte, war dieses ungeheure Mitleid, und genau das brachte mich in eine Menge Schwierigkeiten. Innerhalb der nächsten drei oder vier Jahre nahm ich sehr viele Männer mit nach Hause – weil sie mir alle so leidtaten. Glücklicherweise verlor ich niemals völlig die Kontrolle. Die meisten der Männer, mit denen ich mich einließ, hatten Probleme mit Drogen oder Alkohol. Ich lernte sie auf Partys kennen, gelegentlich auch in einer Bar, und wieder schienen sie alle mein Verständnis, meine Hilfe zu brauchen – und das zog mich an wie ein Magnet.»
Diese Aussage ist kaum verwunderlich, wenn man sich Lisas starke Bindung an die Mutter vor Augen hält: Lisas Erfahrung nach kam das Gebrauchtwerden dem Geliebtwerden am nächsten; wenn ein Mann sie zu brauchen schien, bot er ihr – so glaubte sie – seine Liebe an. Dazu musste er nicht freundlich, liebevoll oder aufmerksam sein. Die Tatsache, dass er bedürftig war, genügte schon, um altvertraute Gefühle in ihr wachzurufen. Lisa reagierte auf diese Bedürftigkeit mit Fürsorge.
Sie berichtete weiter: «Mein Leben schien verpfuscht, genau wie das meiner Mutter. Wir waren beide sehr krank. Aber kurz nach meinem vierundzwanzigsten Geburtstag hörte meine Mutter auf zu trinken. Sie wählte den schwersten Weg. Als sie die Anonymen Alkoholiker anrief und um Hilfe bat, war sie ganz allein zu Hause. Zwei Mitglieder von A. A. kamen, um mit ihr zu reden und sie zu einem Treffen am selben Nachmittag mitzunehmen. Seitdem hat sie keinen Tropfen mehr angerührt.»
Ich konnte Lisa ansehen, wie sehr sie den Mut ihrer Mutter bewunderte.
«Es muss wirklich unerträglich geworden sein, denn meine Mutter war eine sehr stolze Frau, zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten, wenn sie nicht völlig verzweifelt war. Gottlob hatte sie mich nicht in ihrer Nähe. Ich wäre wahrscheinlich wieder bereit gewesen, alles zu tun, damit sie sich besser fühlte. Auf diese Weise hätte sie sich niemals um wirksame Hilfe kümmern müssen.
Meine Mutter begann, richtig zu trinken, als ich etwa neun Jahre alt war. Wenn ich von der Schule kam, lag sie oft schon halb bewusstlos auf der Couch, mit der Flasche neben sich. Meine ältere Schwester wurde manchmal wütend auf mich und meinte, ich würde meine Augen vor der Realität verschließen, weil ich nie zugeben könnte, wie schlimm es um meine Mutter stand, aber ich liebte sie zu sehr, um mir überhaupt eingestehen zu können, dass sie etwas falsch machte.
Wir fühlten uns einander sehr nahe. Als dann die Beziehung zwischen ihr und meinem Vater immer schlechter wurde, wollte ich das wettmachen. Sie sollte glücklich sein – das war für mich das Wichtigste auf der Welt. Ich versuchte, all das wiedergutzumachen, was mein Vater ihr angetan hatte. Das konnte ich nur, indem ich eine gute Tochter war, in jeder Hinsicht. Ständig bot ich ihr meine Hilfe an. Ich kochte und putzte, ohne darum gebeten zu werden. Ich versuchte, für mich selbst nichts zu beanspruchen.
Aber nichts half wirklich. Mittlerweile ist es mir klar: Ich hatte den Kampf mit zwei unglaublich starken Kräften aufgenommen – mit der sich immer weiter verschlechternden Ehe meiner Eltern und der fortgeschrittenen Alkoholabhängigkeit meiner Mutter. Ich hatte nicht die geringste Möglichkeit, die Situation zu verbessern, aber das hielt mich nicht davon ab, es immer weiter zu versuchen – und mir die Schuld dafür zu geben, wenn meine Bemühungen fehlschlugen.
Es tat mir weh, meine Mutter unglücklich zu sehen. Ich wusste, dass es noch immer Bereiche gab, in denen ich mich verbessern konnte, in der Schule beispielsweise. Ich war keine allzu gute Schülerin, weil der Druck zu Hause so stark war; schließlich versuchte ich, mich um meinen Bruder zu kümmern, Essen zu kochen und später nebenbei zu arbeiten, um meine Familie auch finanziell ein bisschen zu unterstützen. Für die Schule blieb natürlich nicht allzu viel Energie übrig: Ich schaffte es immer nur einmal pro Jahr, eine – gut vorbereitete – großartige Leistung zu erbringen. Damit wollte ich den Lehrern beweisen, dass ich nicht dumm war. Aber sonst bekam ich gerade noch ausreichende Noten. In der Schule hieß es, ich würde mich
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