Wenn Frauen zu sehr lieben
leer, und nun gab es einen Menschen, der mir offenbar sehr viel bieten konnte. Und er sagte, er würde mich
lieben
. So viele Jahre lang war
ich
diejenige gewesen, die geliebt hatte, und nun schien es mir, als sei ich an der Reihe, etwas von dieser Liebe zurückzubekommen. Und gerade noch rechtzeitig. Ich wusste, wie sehr ich mich verausgabt hatte und dass mir eigentlich nichts mehr geblieben war, was ich hätte geben können.
Wir heirateten also innerhalb kürzester Zeit und ohne Wissen seiner Eltern. Heute hört sich alles so verrückt an. Aber dass er gewillt war, sich über seine Eltern hinwegzusetzen, um mit mir zusammen zu sein, schien mir damals nur zu beweisen, wie sehr er mich liebte. Außerdem dachte ich, mich zu heiraten sei für ihn eine Art Rebellion gegen seine Eltern, ein Versuch, sie zu ärgern, aber doch nicht so sehr, dass sie ihn hinauswerfen würden. Heute sehe ich das anders. Schließlich hatte er einiges zu verbergen, was seine geschlechtliche Identität und sein sexuelles Verhalten anging. Der Status eines verheirateten Mannes ließ ihn also «normaler» erscheinen. Ich nehme an, dass er das meinte, als er sagte, er würde mich brauchen. Für ihn war ich natürlich die perfekte Ehefrau, weil ich als Amerikanerin in seiner Kultur immer abgelehnt worden wäre. Jede andere Frau, vor allen Dingen eine aus seiner sozialen Klasse, hätte früher oder später über das geredet, was eigentlich vorging. Und dadurch wäre es überall bekannt geworden. Aber mit wem hätte ich sprechen können? Wer hätte mir denn überhaupt geglaubt?
Ich vermute, dass er die ganze Sache nicht geplant hat, genauso wenig, wie ich geplant habe, ihn zu heiraten, um mein Zuhause verlassen zu können. Wir passten einfach zusammen und glaubten – zumindest am Anfang –, es sei Liebe.
Wissen Sie, was nach der Hochzeit geschah? Wir mussten zu seinen Eltern ziehen, die noch nicht einmal von unserer Heirat informiert worden waren. Ich habe eine schreckliche Zeit durchgemacht. Sie hassten mich, und ich spürte, dass sie schon seit geraumer Zeit ein gespanntes Verhältnis zu ihm hatten. Ich konnte kein Wort Spanisch. Alle in der Familie konnten Englisch sprechen, aber sie taten es nicht. Ich war völlig ausgeschlossen, isoliert, und hatte von Anfang an schreckliche Angst. Er ließ mich abends häufig allein. Ich blieb dann einfach in unserem Zimmer und gewöhnte mich allmählich daran, einzuschlafen, ob er nun nach Hause kam oder nicht. Nun war Leiden nichts Neues für mich – das hatte ich schon zu Hause gelernt. Leiden, so glaubte ich, war der Preis für die Liebe eines anderen Menschen – und damit etwas ganz Normales.
Oft kam er betrunken nach Hause. Wenn er dann mit mir schlafen wollte, war es für mich besonders schlimm. Er roch nach dem Parfum anderer Frauen.
Eines Nachts – ich hatte schon längst geschlafen – weckte mich plötzlich ein Geräusch. Ich öffnete die Augen und sah, wie sich mein Mann, der wieder mal betrunken war, vor dem Spiegel in meinem Nachthemd bewunderte. Ich fragte ihn, was er da mache, und er sagte: ‹Findest du nicht, dass ich hübsch aussehe?› Er verzog den Mund, und ich bemerkte, dass er Lippenstift aufgetragen hatte.
In diesem Moment wusste ich: Ich muss hier raus. Bis dahin war ich zwar unglücklich gewesen, aber ich hatte die Fehler immer nur bei mir gesucht. Wenn ich mir nur mehr Mühe gab, so glaubte ich, dann würde er auch lieber mit mir zusammen sein, dann könnte ich selbst seine Eltern dazu bringen, mich zu akzeptieren, mich sogar zu mögen. Ich war bereit, mich noch mehr anzustrengen, genau wie bei meiner Mutter. Aber dies hier war anders. Dies war verrückt.
Ich hatte kein Geld und nicht die Möglichkeit, schnell welches aufzutreiben. Deshalb erklärte ich ihm am nächsten Tag, ich würde seinen Eltern erzählen, was er getan hatte, wenn er mich nicht nach San Diego bringen würde. Ich log ihm vor, ich hätte meine Mutter bereits angerufen und sie würde mich dort erwarten. Er bräuchte mich also nur nach San Diego zu bringen, und ich würde ihn nie mehr belästigen. Ich weiß bis heute nicht, woher ich den Mut dazu nahm. Ich traute ihm tatsächlich zu, mich umzubringen. Aber es ging alles gut. Er hatte eben doch zu viel Angst davor, seine Eltern könnten etwas erfahren. Er fuhr mich bis zur Grenze, ohne ein Wort zu sagen. Er gab mir das Geld für die Busfahrkarte und zusätzlich etwa fünfzehn Dollar. So kam ich also nach San Diego. Zunächst quartierte ich mich im
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