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Wenn Frauen zu sehr lieben

Wenn Frauen zu sehr lieben

Titel: Wenn Frauen zu sehr lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Norwood
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ihn nicht verhindert. Derartige bewusst wahrgenommene Schuldgefühle haben angesichts einer solchen Tragödie verständlicherweise alle Familienmitglieder. Bei Melanie wurden diese bewussten Schuldgefühle dadurch verstärkt, dass sie ein überentwickeltes Verantwortungsgefühl für das Wohlergehen aller Familienmitglieder besaß.
    Darüber hinaus jedoch führte die Erfüllung ihres kindlichen Wunsches, den Vater für sich zu haben, zusätzlich zur Bildung
unbewusster
Schuldgefühle. Dies wiederum bewirkte eine innere Bereitschaft zum Leiden, um damit dem Bedürfnis nach Buße und Sühne nachkommen zu können. In Verbindung mit Melanies Gewöhnung an die Märtyrerrolle entstand eine innere Verfassung, die an Masochismus grenzte. In der Beziehung mit Sean, die von Leiden, Alleinsein und überwältigender Verantwortung gekennzeichnet war, fühlte sie sich geradezu wohl.
    Die zweite Konsequenz sind unbewusste Gefühle von Missbehagen gegenüber den sexuellen Implikationen der Tatsache, dass man den begehrten Elternteil für sich allein hat. Normalerweise bietet die Gegenwart der Mutter (oder einer anderen Bezugsperson wie der neuen Ehefrau oder Freundin des Vaters) Sicherheit sowohl für den Vater als auch für die Tochter. Die Tochter kann selbst das Gefühl entwickeln, in den Augen ihres Vaters attraktiv und liebenswert zu sein, und bleibt gleichzeitig davor bewahrt, dass die ganz natürlich entstandenen sexuellen Regungen zwischen ihnen in Handlungen umgesetzt werden.
    Zwischen Melanie und ihrem Vater entwickelte sich keine inzestuöse Beziehung. Unter diesen Umständen hätte es allerdings sehr wohl dazu kommen können. Denn genau solche inzestuösen Konstellationen finden wir häufig in Familien, in denen die Mutter – aus welchen Gründen auch immer – die ihr angemessene Rolle als Partnerin des Ehemanns und Mutter des Kindes aufgibt und bewirkt, dass ihre Tochter diese Position einnimmt. Damit zwingt sie der Tochter nicht nur ihren eigenen Teil der Verantwortung auf, sondern bringt sie auch noch in die Gefahr, zum Objekt der sexuellen Annäherungsversuche ihres Vaters zu werden. (Das klingt vielleicht so, als läge die gesamte Verantwortung bei der Mutter; tatsächlich aber ist es
ausschließlich
die Verantwortung des Vaters, wenn es zum Inzest kommt. Denn er als Erwachsener hat die Pflicht, sein Kind zu beschützen und es niemals für seine sexuelle Befriedigung zu benutzen.)
    Selbst wenn solche Annäherungsversuche unterbleiben, kann sich das Gefühl sexueller Anziehungskraft zwischen Vater und Tochter steigern, weil die starke Paarbindung zwischen den Eltern fehlt und die Tochter die Rolle ihrer Mutter innerhalb der Familie einnimmt. Wegen ihrer engen Beziehung zum Vater könnte es der Tochter unangenehm bewusst sein, dass in seinem besonderen Interesse an ihr auf gewisser Ebene auch sexuelles Interesse mitschwingt. Oder vielleicht bringt die ungewöhnlich starke emotionale Bindung zum Vater die Tochter dazu, ihre erwachenden sexuellen Gefühle stärker auf ihn zu konzentrieren, als sie es unter normalen Umständen tun würde. Im Bemühen, das machtvolle Inzesttabu selbst gedanklich nicht anzutasten, wird sie sich möglicherweise den meisten oder gar allen ihren sexuellen Gefühlen gegenüber verschließen. Auch dieser «Entschluss» läuft unbewusst ab; er ist die Verteidigung gegen den allergefährlichsten Impuls: die sexuelle Hinwendung zu einem Elternteil. Und gerade weil er unbewusst ist, lässt sich dieser Entschluss auch nicht einfach überprüfen und aufheben.
    Folglich wird aus dem Mädchen vielleicht eine junge Frau, der
jedes
sexuelle Gefühl unangenehm ist, weil sie damit – unbewusst – eine Tabuverletzung verbindet. In diesem Fall könnte Fürsorge ihre einzig sichere Ausdrucksform von Liebe sein.
    Melanies Beziehung zu Sean war von ihrem Verantwortungsgefühl ihm gegenüber geprägt. Dies war seit langer Zeit ihre Art, Liebe zu empfinden und zum Ausdruck zu bringen.
    Als sie siebzehn war, «ersetzte» ihr Vater sie durch seine neue Frau. Melanie reagierte offensichtlich mit Erleichterung auf diese Eheschließung. Dass der Verlust ihrer häuslichen Rolle so wenig Bitterkeit in ihr auslöste, hing wahrscheinlich damit zusammen, dass sie Sean und seine Freunde zu diesem Zeitpunkt schon kannte. Für sie übernahm Melanie fast dieselben Funktionen wie früher zu Hause. Wäre es nicht zur Heirat zwischen Sean und ihr gekommen, hätte Melanie vermutlich an diesem Punkt eine schwerwiegende

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