Wenn Frauen zu sehr lieben
ob sie jemals ernsthaft an Scheidung gedacht hätte.
«Wir haben uns tatsächlich einmal getrennt. Das ist eine alberne Formulierung, weil wir ja sowieso dauernd getrennt sind – bei seinem Lebensstil. Aber einmal erklärte ich, dass ich mich scheiden lassen wollte – vor allem, um ihm eine Lektion zu erteilen –, und sechs Monate lang lebten wir wirklich nicht zusammen. Er rief mich immer wieder an, und ich schickte ihm auch Geld, wenn er dringend welches brauchte. Aber die meiste Zeit war jeder von uns auf sich selbst gestellt. Ich habe sogar zwei Männer kennengelernt! «Das klang, als überraschte es sie, dass andere Männer sich für sie interessierten. Sie fuhr fort: «Beide waren sehr nett zu den Kindern, und jeder von ihnen wollte mir im Haus helfen, kleine Reparaturarbeiten machen; sie schenkten mir sogar manche Dinge, die ich unbedingt brauchte. Natürlich fand ich es schön, mich so verwöhnen zu lassen. Trotzdem waren bei mir einfach keine richtigen Gefühle da. Nichts ließ sich mit der Anziehungskraft vergleichen, die Sean noch immer auf mich ausübte. Also ging ich schließlich zu ihm zurück.» Sie lächelte. «Ich musste ihm damals erklären, warum zu Hause alles in solch gutem Zustand war.»
Wir hatten bereits den halben Weg über den Campus zurückgelegt. Ich wollte mehr über Melanies Kindheit erfahren, um zu verstehen, welche Erlebnisse zu ihren gegenwärtigen Problemen geführt hatten.
«Wenn Sie sich einmal vergegenwärtigen, wie Sie als Kind waren, welches Bild haben Sie dann im Kopf?», fragte ich. Melanie runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach.
«Das ist komisch. Ich sehe mich in meiner Schürze, wie ich auf einem Hocker vor dem Herd stehe und in einem Topf rühre. Ich war das mittlere von fünf Kindern. Als meine Mutter starb, war ich vierzehn, aber mit dem Kochen und Putzen fing ich schon lange vorher an, weil sie doch so krank war. Mit der Zeit kam sie einfach nicht mehr aus ihrem Zimmer heraus. Meine beiden älteren Brüder gingen nach der Schule arbeiten, um meinen Vater finanziell zu entlasten, und ich übernahm in gewisser Hinsicht die Mutterrolle für alle. Meine beiden Schwestern waren drei und fünf Jahre jünger als ich, also hing fast alles, was zu Hause gemacht werden musste, an mir. Aber wir schafften es. Mein Vater arbeitete und kaufte ein. Ich kochte und putzte. Wir taten, was wir konnten. Geld war zwar immer knapp, aber wir kamen halbwegs zurecht. Mein Vater arbeitete furchtbar hart; zeitweise ging er zwei verschiedenen Beschäftigungen nach und war meistens nicht zu Hause. Dass er so wenig da war, lag wohl nur teilweise an äußeren Zwängen, denn dadurch konnte er auch meiner Mutter aus dem Weg gehen. Das taten wir übrigens alle, so gut es ging. Sie war eben sehr schwierig.
Kurz vor meinem Schulabschluss heiratete mein Vater zum zweiten Mal. Alles wurde sofort einfacher. Seine neue Frau arbeitete auch; sie hatte eine Tochter, die genauso alt war wie meine jüngere Schwester, damals also zwölf. Alles passte einfach gut zusammen. Mein Vater war viel glücklicher. Finanziell ging es uns auch besser. Zum ersten Mal hatten wir wirklich genug Geld, um über die Runden zu kommen.»
Ich fragte: «Was empfanden Sie damals, als Ihre Mutter starb?»
Melanie biss die Zähne zusammen. «Die Frau, die sich umgebracht hatte, war seit Jahren nicht mehr meine Mutter gewesen. Sie war jemand anders – eine Person, die schlief oder schrie und uns immer Sorgen machte. Ich erinnere mich nur noch dunkel an die Zeit, als sie noch meine Mutter war. In Gedanken ist es ein langer Weg zurück bis hin zu der Frau, die sanft und liebevoll war, die sang, wenn sie arbeitete oder mit uns spielte. Sie war nämlich irischer Abstammung, und daher kannte sie all diese melancholischen Lieder … Ich glaube, wir waren alle erleichtert, als sie schließlich starb. Aber ich fühlte mich auch schuldig. Ich dachte, wenn ich sie nur besser verstanden oder mich mehr um sie gekümmert hätte, wäre sie vielleicht nicht so krank geworden. Ich versuche, so wenig wie möglich über das Ganze nachzudenken.»
Die letzten Minuten unseres Gesprächs wollte ich dazu nutzen, Melanie eine Ahnung davon zu vermitteln, woher ihre gegenwärtigen Probleme rührten.
«Sehen Sie irgendwelche Ähnlichkeiten zwischen Ihrer heutigen Situation und der als Kind?», fragte ich.
Sie lachte gezwungen. «Ja, aber eigentlich erst durch dieses Gespräch. Ich sehe, dass ich noch immer warte – darauf, dass Sean nach
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