Wenn Frauen zu sehr lieben
verheiratet war, und wurde seiner überdrüssig, sobald er – für sie – frei war?
Helen wollte nur das haben, was sie nicht haben konnte. Um den dauernden körperlichen und seelischen Kontakt mit einem Mann auszuhalten, brauchte sie die Sicherheit, dass er eigentlich unerreichbar war. Diese Sicherheit gab ihr Charles’ Ehe. Nur unter diesen Bedingungen konnte sie sich ihm hingeben. Eine echte Partnerschaft, frei von den zermürbenden Belastungen durch seine Ehe und dem ständigen gemeinsamen Kampf gegen die Außenwelt – eine solche Partnerschaft aufzubauen und zu vertiefen war ihr im Grunde unmöglich. Helen brauchte die Aufregung, die Anspannung und den seelischen Schmerz, all die Begleiterscheinungen einer unerfüllbaren Liebe, um überhaupt lieben zu können. Sobald sie nicht mehr darum kämpfen musste, Charles für sich zu gewinnen, zeigte sich, dass sie nicht in der Lage war, Nähe oder auch nur Zärtlichkeit zuzulassen. Sobald sie ihn gewonnen hatte, ließ sie ihn praktisch fallen.
Doch all die Jahre hindurch, in denen sie auf ihn wartete, erweckte sie den Eindruck einer Frau, die zu sehr liebt. Sie litt, sie grämte sich, sie weinte und jammerte um den Mann, den sie liebte, aber nicht wirklich für sich haben konnte. Sie empfand ihn als Mittelpunkt und zentrale Kraft ihres Lebens – bis sie ihn für sich hatte. Und dann vermochte die Realität, die nichts mehr mit der bittersüßen Romantik ihrer verbotenen Affäre zu tun hatte, in ihr auch nicht mehr die Leidenschaft zu erregen, die sie neun Jahre lang mit demselben Mann erfahren hatte.
Wenn sich zwei Menschen, die jahrelang eine Beziehung unterhielten, endlich zur Heirat entschließen, müssen sie oft feststellen, dass dieser Beziehung plötzlich etwas fehlt: Die Aufregung ist verschwunden, sie sind nicht mehr verliebt. Dies muss nicht heißen, dass sie sich nicht mehr gern haben. Es mag vielmehr daran liegen, dass eine solche Bindung die Fähigkeit entweder des einen oder des anderen oder sogar beider übersteigt, wirklich Nähe zuzulassen. Eine «offene» Beziehung verspricht immer auch Sicherheit vor größerer Nähe. Der Entschluss, daraus eine feste Bindung zu machen, führt oft zu seelischem Rückzug, bedingt durch das Verlangen, sich zu schützen.
Genau das ereignete sich zwischen Helen und Charles. Charles seinerseits ignorierte jedes Anzeichen, das auf Helens Mangel an emotionaler Tiefe hinwies, weil er sich durch ihre Zuwendung so geschmeichelt fühlte. Er war beileibe nicht das hilflose Opfer ihrer Intrigen und Manipulationen, sondern weigerte sich bewusst, den Teil von Helens Charakter zur Kenntnis zu nehmen, der nicht zu seinem Selbstbild passte, einem Selbstbild, das sie gepflegt hatte und an das er glauben wollte – dass er nämlich außerordentlich liebenswert und in sexueller Hinsicht unwiderstehlich sei. Er lebte mit Helen viele Jahre lang in einer sorgfältig konstruierten Phantasiewelt und wollte keinesfalls die Illusion zerstören, die seinem Selbstwertgefühl so gut tat. Ein Großteil seiner Wut nach Helens Tod richtete sich gegen ihn selbst, als er verspätet seine eigene Realitätsblindheit erkennen musste und die Rolle, die er beim Erschaffen und Aufrechterhalten der Phantasie von der allumfassenden Liebe gespielt hatte – aus der schließlich eine völlig sterile Ehe geworden war.
Russell: 32 Jahre alt; staatlich anerkannter Sozialarbeiter (nach seiner Begnadigung durch den Gouverneur); entwickelt städtische Hilfsprogramme für jugendliche Straftäter
Die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, sind immer sehr beeindruckt von der Tätowierung auf meinem linken Unterarm. Sie sagt eine Menge über mein früheres Leben aus. Diese Tätowierung – es ist mein eigener Name – ließ ich mir mit siebzehn machen. Ich glaubte damals, ich würde eines Tages tot auf der Straße liegen und dann wüsste keiner, wer ich war. Ich hielt mich für einen total coolen Typen.
Ich lebte bei meiner Mutter, bis ich sieben war. Dann heiratete sie wieder. Mit ihrem neuen Ehemann verstand ich mich nicht. Ich lief ein paarmal von zu Hause weg. Damals wurde man für so etwas noch eingesperrt. Zuerst landete ich in einem Erziehungsheim, dann bei Pflegeeltern, dann wieder im Heim. Anschließend kam ich in eine so genannte Besserungsanstalt und schließlich in die Jugendstrafanstalt. Als ich älter wurde, lernte ich ziemlich viele Gefängnisse von innen kennen, und dann sogar das Zuchthaus. Mit 25 war ich bereits in jeder Art von
Weitere Kostenlose Bücher