Wenn Frauen zu sehr lieben
wehtun. Es war wie eine Versicherungspolice gegen Leiden. Ich mochte diesen jungen wirklich sehr gern, aber heute weiß ich, dass ich ihn als Freund ausgesucht hatte, weil mit ihm – genau wie mit mir – etwas nicht stimmte. Sein Defekt war sichtbar, deshalb konnte ich es mir erlauben, Schmerz und Mitleid für ihn zu empfinden. Er war allerdings bei weitem der gesündeste Freund, den ich je hatte. Seine Nachfolger waren jugendliche Straftäter, Versager allesamt – lauter Nieten.
Mit siebzehn lernte ich meinen ersten Ehemann kennen. Es hatte in der Schule viele Probleme mit ihm gegeben, und irgendwann ist er dann rausgeflogen. Obwohl seine Eltern geschieden waren, kämpften sie noch immer erbittert gegeneinander. Verglichen mit seiner Lage kam mir meine geradezu rosig vor. Ich wurde ein bisschen lockerer, weil ich mich nicht mehr so sehr zu schämen brauchte. Und natürlich tat er mir leid. Er war ein richtiger kleiner Rebell, und ich glaubte, es läge daran, dass ihn bisher nie jemand richtig verstanden hatte.
Außerdem war mein Intelligenzquotient mindestens zwanzig Punkte höher als seiner. Auch diesen Vorteil brauchte ich neben all den anderen, um überhaupt das Gefühl entwickeln zu können, dass ich ihm gleichwertig war und er mich nicht wegen einer anderen, besseren Frau verlassen würde.
Die zwölf Jahre unserer Ehe waren bestimmt von meiner Weigerung, ihn zu akzeptieren, so wie er war: Ich versuchte die ganze Zeit, ihn zu dem Mann zu machen, der er meiner Überzeugung nach hätte sein können und müssen. Ich war mir sicher, dass er viel glücklicher sein und sich viel wohler fühlen würde, wenn er mir bloß erlaubte, ihm dabei zu helfen, ein guter Vater zu sein, sein Geschäft ordentlich zu führen und mit seiner ganzen Familie gut auszukommen.
Ich hatte meine Ausbildung fortgesetzt und als Hauptfach – wie sollte es anders sein? – Psychologie gewählt. Obwohl mir die Kontrolle über mein eigenes Leben völlig zu entgleiten drohte, beschäftigte ich mich im Studium damit, wie ich anderen Menschen am besten helfen konnte.
Ich will mir selbst gegenüber nicht ungerecht sein: Natürlich suchte ich nach Wegen, nach Lösungen, und trotzdem glaubte ich, ich müsse ihn dazu bringen, sich zu ändern, damit ich selbst glücklich sein konnte. Denn er brauchte doch ganz offensichtlich meine Hilfe: Er bezahlte weder Rechnungen noch Steuern. Er machte den Kindern und mir Versprechungen, die er nicht hielt. Er brachte seine Kunden gegen sich auf, die dann mich anriefen, um sich darüber zu beschweren, dass er ihre Aufträge zwar annahm, aber nicht ordnungsgemäß ausführte.
Erst als ich erkennen konnte, wer er wirklich war, statt mich an mein Wunschbild von ihm zu klammern, schaffte ich es, ihn zu verlassen. Die letzten drei Monate unserer Ehe sah ich einfach nur hin – statt ihm weiterhin endlos Vorträge zu halten, beschränkte ich mich darauf, still zu sein und zu beobachten. Dabei erkannte ich, dass ich mit dem Mann, der er wirklich war, nicht leben konnte. All die Jahre hatte ich nur darauf gewartet und dafür gearbeitet, dass er sich endlich als wunderbarer, liebenswerter Mann entpuppen würde. Als Mann, der sich mir zuliebe geändert hatte. Nur wegen dieser Hoffnung war ich bei ihm geblieben.
Trotzdem war mir nicht bewusst, dass meiner Partnerwahl ein Muster zugrunde lag: Ich geriet immer an Männer, die nach meiner Überzeugung nicht ganz das verkörperten, was in ihnen steckte, und die deshalb auf meine Hilfe angewiesen waren. Bevor ich dieses Muster verstand, musste ich noch etliche Beziehungen mit unmöglichen Männern hinter mich bringen: Einer war von Marihuana abhängig, ein anderer war homosexuell, ein dritter impotent, und der, mit dem ich die längste Beziehung hatte, war angeblich unglücklich verheiratet. Nach unserer Trennung, die übrigens katastrophal verlief, konnte ich mir nicht länger vormachen, ich hätte halt immer Pech mit Männern: Ich musste also auch meinen Teil zu dem beigetragen haben, was mir widerfuhr.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich schon als Psychologin, und mein ganzes Leben kreiste darum, anderen zu helfen. Heute weiß ich, dass es in dieser Berufssparte viele Menschen wie mich gibt: Menschen, die ihre gesamte Arbeitszeit damit verbringen, sich um andere zu kümmern, und trotzdem das Bedürfnis verspüren, diese Helferrolle auch auf ihre privaten Beziehungen zu übertragen. Mein Verhältnis zu meinen Söhnen bestand eigentlich nur darin, sie zu ermahnen und
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