Wenn Frauen zu sehr lieben
zu ermutigen, ihnen Anweisungen zu geben und mir Sorgen um sie zu machen. Genau das hielt ich für Liebe, denn etwas anderes hatte ich nicht kennengelernt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, die Menschen als diejenigen zu akzeptieren, die sie waren – wahrscheinlich, weil ich mich selbst nie akzeptiert habe.
Es klingt komisch, aber an diesem Punkt tat mir das Leben einen großen Gefallen, indem es völlig auseinanderfiel. Meine Beziehung zu dem verheirateten Mann ging in die Brüche, meine beiden Söhne gerieten mit dem Gesetz in Konflikt, und ich war gesundheitlich am Ende. Ich konnte mich einfach nicht mehr um alle anderen kümmern. Aber erst der Bewährungshelfer meiner Söhne legte mir nahe, etwas für mich selbst zu tun. Von diesem Mann konnte ich mir so etwas sagen lassen. Nach all den Jahren meines Psychologiestudiums war er derjenige, der schließlich zu mir durchdrang. Mein gesamtes Leben musste vor meinen Augen in Scherben liegen, bevor ich mich in meinem ganzen Selbsthass endlich wahrnehmen konnte.
Es fiel mir ungeheuer schwer, mich zu der Erkenntnis durchzuringen, dass ich für meine Mutter eigentlich nur eine Belastung gewesen war, dass sie mich im Grunde nicht gewollt hatte. Mittlerweile kann ich verstehen, wie schwer es für sie war, mich großzuziehen. All die Botschaften, durch die sie mir vermittelte, dass andere Leute mich nicht um sich haben wollten – handelten im Grunde von ihr selbst. Vermutlich habe ich es schon als Kind geahnt, aber nicht damit umgehen können und es daher ignoriert. Diese Ignoranz verselbständigte sich bald: Ich verschloss die Ohren vor ihrer ständigen Kritik an mir; ich ließ es gar nicht an mich herankommen, wenn sie wütend auf mich wurde, nur weil ich mich über irgendetwas freute. Die Feindseligkeit, die sie mir entgegenbrachte, war zu bedrohlich, als dass ich sie hätte aushalten können, also ließ ich sie auch nicht an mich heran. Ich hörte auf, etwas zu fühlen, ich hörte auf, zu reagieren. Ich konzentrierte all meine Energie darauf, ein braves Mädchen zu sein und anderen zu helfen. Solange ich mich mit anderen Menschen beschäftigte, brauchte ich mich nicht mir selbst zuzuwenden, brauchte ich meinen eigenen Schmerz nicht zu fühlen.
Obwohl es mich große Überwindung kostete, engagierte ich mich in einer Selbsthilfegruppe von Frauen, deren Probleme mit Männern meinen sehr ähnlich waren. Solche Gruppen hatte ich zuvor als Psychologin geleitet, und in dieser saß ich nun als ganz einfaches Mitglied. Obwohl mein Selbstwertgefühl sehr darunter litt, nahm ich die Hilfe der Gruppe an. Ich konnte endlich erkennen, wie groß mein Bedürfnis war, über andere zu bestimmen, andere zu kontrollieren. Die Gruppe half mir auch, diesem Bedürfnis nicht mehr nachzugeben und es schließlich abzubauen. Ich begann, gesund zu werden. Statt an allen anderen herumzudoktern, kümmerte ich mich zum ersten Mal um mich selbst. Ich hatte viel Arbeit vor mir. Schon die ersten Versuche, mich zurückzuhalten und mich nicht mehr auf die Probleme anderer zu stürzen, brachten es mit sich, dass ich fast nichts mehr sagen durfte! Denn schon seit langem war praktisch alles, was ich von mir gab, auf irgendeine Weise «hilfreich». Ich war selbst schockiert darüber, wie sehr das Bedürfnis, zu kontrollieren und Einfluss zu nehmen, mein Verhalten bestimmte. Mit der Änderung dieses Verhaltens ging auch eine radikale Änderung meiner Einstellung zu meinem Beruf einher. Mittlerweile bin ich viel eher dazu in der Lage, meine Klienten mitfühlend zu begleiten, während sie an ihren Problemen arbeiten. Früher hatte ich es immer für meine Aufgabe gehalten, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Heute ist es mir wichtiger, sie zu verstehen.
Nach einiger Zeit lernte ich einen netten Mann kennen. Er brauchte mich nicht, denn ihm fehlte nichts. Anfangs war mir recht unbehaglich zumute, weil ich erst lernen musste, einfach mit ihm zusammen zu sein, statt schon wieder zu versuchen, sein ganzes Leben umzukrempeln. So war ich schließlich immer mit anderen Menschen umgegangen. Aber ich lerne allmählich, nicht zu agieren, sondern nur ich selbst zu sein, und bisher geht das recht gut. Es kommt mir so vor, als bekäme mein Leben erst jetzt einen Sinn. Ich gehe weiterhin zu meiner Gruppe, um nicht in meine alten Verhaltensweisen zurückzufallen. Noch immer möchte ich manchmal alles um mich herum selbst in die Hand nehmen, aber ich hüte mich davor, diesem Bedürfnis nachzugeben.
Auch in diesem
Weitere Kostenlose Bücher