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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Forman
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Ahnung, wie die Ärzte das durchhalten. Sie stehen ganz still, aber es scheint anstrengender zu sein als ein Marathonlauf.
    Ich fange an, wegzudösen. Und dann rätsele ich wieder über diesen merkwürdigen Zustand, in dem ich mich befinde. Wenn ich nicht tot bin – und der Herzmonitor piept beharrlich; daher nehme ich an, dass ich es nicht bin -, aber mich auch nicht in meinem Körper befinde, kann ich dann überall hingehen? Bin ich ein Geist? Könnte ich mich an einen Strand auf Hawaii beamen? Oder in die Carnegie Hall nach New York? Oder zu Teddy?
    Nur aus Neugier wackele ich mit der Nase wie Samantha in Verliebt in eine Hexe . Nichts passiert. Ich schnippe mit den Fingern. Schlage die Hacken zusammen. Nichts. Ich bin immer noch hier.
    Ich versuche etwas anderes, etwas Leichteres. Ich gehe zur Wand und stelle mir vor, dass ich einfach hindurchschwebe und auf der anderen Seite wieder herauskomme. Aber nichts dergleichen geschieht: Als ich gegen die Wand laufe – laufe ich gegen die Wand.
    Eine Krankenschwester kommt eilig mit einem Blutbeutel herein, und ehe sich die Tür hinter ihr wieder schließt, schlüpfe ich hinaus. Jetzt stehe ich im Korridor
des Krankenhauses. Überall hasten und laufen Ärzte und Schwestern und Pfleger in blauen und grünen Kitteln herum. Eine Frau auf einer fahrbaren Krankentrage, deren Haare unter einer durchsichtigen blauen Duschhaube versteckt sind, ruft immer wieder nach einem gewissen William. Ich gehe ein Stück weiter, an unzähligen Operationszimmern vorbei. In allen liegen schlafende Menschen. Wenn die Patienten da drinnen so sind wie ich, warum kann ich dann die Menschen außerhalb der Menschen nicht sehen? Hängen die anderen auch noch hier herum wie ich? Ich würde wirklich gerne jemanden treffen, der sich in dem gleichen Zustand befindet wie ich. Ich hätte da ein paar Fragen, zum Beispiel: Was genau ist dieser Zustand? Und wie kommt man wieder heraus? Wie komme ich wieder in meinen Körper? Muss ich warten, bis die Ärzte mich aufwecken? Aber hier ist niemand, der so ist wie ich. Vielleicht haben die anderen herausgefunden, wie man nach Hawaii kommt.
    Ich folge einer Krankenschwester durch eine automatische Flügeltür. Jetzt bin ich in einem kleinen Wartezimmer. Meine Großeltern sind da.
    Meine Großmutter schwatzt munter auf Gramps ein, vielleicht redet sie auch nur mit der Luft. Das ist ihre Art, in schwierigen Situationen die Nerven zu behalten. So war sie auch, als Gramps einen Herzanfall hatte. Sie trägt Gummistiefel und ihre Gartenschürze, die mit Erde beschmiert ist. Wahrscheinlich war sie gerade in
ihrem Gewächshaus, als sie die Sache mit uns erfahren hat. Das Haar meiner Großmutter ist kurz und lockig und grau; sie hat eine Dauerwelle, sagt mein Vater, und zwar seit den 1970ern. »Es ist so bequem«, sagt sie. »Man hat keine Arbeit damit.« Das ist typisch für meine Großmutter. Sie ist so durch und durch praktisch veranlagt, dass niemand auf die Idee käme, sie könnte sich mit so etwas Abgehobenem wie Engeln beschäftigen. Aber genau das ist der Fall. Sie hat eine Sammlung von Porzellanengeln, Stoffpuppenengeln, Glasengeln und allen möglichen anderen Engeln. Sie bewahrt sie in einem chinesischen Kabinett in ihrem Nähzimmer auf. Und sie sammelt sie nicht nur, sie glaubt auch an sie. Sie ist der Überzeugung, dass sie überall sind. Einmal nistete ein Seetaucherpärchen neben dem Teich in dem Wald hinter ihrem Haus. Meine Großmutter war überzeugt davon, dass es ihre vor langer Zeit verstorbenen Eltern waren, die über sie wachen wollten.
    Ein anderes Mal, als wir draußen auf der Veranda saßen, sah ich einen roten Vogel und fragte sie: »Ist das ein roter Kreuzschnabel?«
    Meine Großmutter schüttelte den Kopf. »Meine Schwester Gloria ist ein Kreuzschnabel«, sagte sie und meinte damit meine kürzlich verschiedene Großtante Glo, mit der sie sich nie besonders gut verstanden hatte. »Die würde sich hier nicht blicken lassen.«
    Gramps starrt auf den Bodensatz in seinem Styroporbecher und schält den Rand des Bechers ab, sodass
kleine weiße Kügelchen in seinen Schoß rollen. Ich kann von hier aus erkennen, dass sich in dem Becher eine ganz miese Brühe befindet, die so aussieht, als wäre sie 1997 gekocht worden und hätte seitdem auf der Warmhalteplatte gestanden. Trotzdem hätte ich nichts gegen eine Tasse Kaffee einzuwenden.
    Man kann eine direkte Linie ziehen von Gramps über meinen Vater zu Teddy, obwohl Gramps’ welliges Haar mittlerweile

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