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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Forman
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schweigsamer blonder Mann mit einem Schnurrbart. Die Haut der Krankenschwester ist so schwarz, dass sie fast bläulich schimmert, und die nette Frau lispelt leicht. Sie nennt mich »Herzchen« und zieht ständig die Decke um meinen Körper gerade, als ob ich mich immerzu freistrampeln würde.
    Ich kann gar nicht zählen, wie viele Schläuche in mir stecken: einer in meinem Hals, der für mich atmet, einer in meiner Nase, um den Mageninhalt abzuleiten,
einer in meiner Vene, der mich mit Sauerstoff versorgt, einer in meiner Blase, der für mich pinkelt, etliche in meiner Brust, die meinen Herzschlag überwachen, einer an meinem Finger, der den Puls kontrolliert. Das Gerät, das meine Atmung übernommen hat, arbeitet in einem einschläfernden Rhythmus, wie ein Metronom. Ein, aus, ein, aus.
    Abgesehen von den Ärzten, Pflegern, Krankenschwestern und einer Sozialarbeiterin hat mich noch niemand besucht. Die Sozialarbeiterin spricht mit einer leisen, mitfühlenden Stimme mit meinen Großeltern. Sie erklärt ihnen, dass mein Zustand sehr ernst sei. Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Im Fernsehen ist der Zustand von Patienten entweder kritisch oder stabil. »Sehr ernst« hört sich schlimm an. Es hört sich an, als ob ich schon mit einem Fuß im Grabe stünde.
    »Ich wünschte, es gäbe etwas, das wir tun könnten«, sagt meine Großmutter. »Bei dieser Warterei kommt man sich so nutzlos vor.«
    »Ich werde fragen, ob Sie sie bald besuchen können«, sagt die Sozialarbeiterin. Sie hat krauses graues Haar und einen Kaffeefleck auf der Bluse; ihr Gesicht ist freundlich. »Sie steht immer noch unter Narkose von der OP, und sie ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen, während ihr Körper sich von dem Trauma erholt. Aber es kann für Patienten in komatösem Zustand hilfreich sein, wenn sie die Stimme von geliebten Menschen hören.«

    Gramps grunzt als Antwort.
    »Gibt es jemanden, den Sie anrufen möchten?«, fragt die Sozialarbeiterin. »Verwandte, die Sie gerne an Ihrer Seite hätten? Ich weiß, dass dies alles sehr schwer für Sie ist, aber je stärker Sie sind, desto eher können Sie Mia helfen.«
    Ich zucke zusammen, als ich die Sozialarbeiterin meinen Namen aussprechen höre. Es ist eine schockierende Mahnung daran, dass hier über mich gesprochen wird. Meine Großmutter zählt die verschiedenen Personen auf, die sich bereits auf dem Weg hierher befinden, Tanten, Onkel, Cousins … Adam wird nicht erwähnt.
    Adam ist der Einzige, den ich wirklich sehen will. Ich wünschte, ich wüsste, wo er sich aufhält, damit ich versuchen könnte, dorthin zu gelangen. Ich habe keine Ahnung, wie er von meinem Unfall erfahren soll. Meine Großeltern haben seine Telefonnummer nicht. Sie haben auch keine Handys, also kann auch er sie nicht anrufen. Und ich weiß auch nicht, ob er überhaupt auf die Idee käme, sie anzurufen. Die Menschen, die normalerweise in der Lage wären, ihn darüber zu informieren, wenn mir etwas passiert ist, können dies nicht mehr tun.
    Ich stehe neben der piependen, verschlauchten und verkabelten leblosen Gestalt, die ich bin. Meine Haut ist grau. Meine Augen sind zugeklebt. Ich wünschte, jemand würde das Klebeband entfernen. Es sieht so aus,
als würde es jucken. Die nette Schwester kommt her. Auf ihrem Kittel sind Lutscher aufgedruckt, obwohl ich nicht auf der Kinderstation liege. »Wie geht’s dir, Herzchen?«, fragt sie mich, als ob wir uns gerade zufällig im Gemüseladen getroffen hätten.
     
    Die Beziehung zwischen Adam und mir fing ziemlich holprig an. Ich glaube, ich bildete mir ein, dass Liebe alle Probleme besiegt. Und als er mich nach dem Yo-Yo-Ma-Konzert zu Hause absetzte, war uns beiden bewusst, dass wir dabei waren, uns ineinander zu verlieben. Ich dachte, dass die wahre Herausforderung darin bestand, bis zu diesem Punkt zu kommen. In Büchern und Filmen enden die Geschichten immer dann, wenn zwei Menschen sich endlich in die Arme sinken und sich küssen. Und wenn sie nicht gestorben sind und so weiter.
    Bei uns war das anders. Es stellte sich heraus, dass es nicht unproblematisch war, aus gänzlich verschiedenen Ecken des sozialen Gefüges zu kommen. Wir trafen uns nach wie vor im Musiktrakt der Schule, aber diese Begegnungen blieben platonisch, als ob keiner von uns das Risiko eingehen wollte, etwas Gutes zu verderben. Aber jedes Mal, wenn wir uns woanders in der Schule sahen – wenn wir zusammen im Speisesaal saßen oder im Schulhof an einem sonnigen Tag -, stimmte etwas nicht.

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