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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Forman
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nicht mehr blond, sondern grau ist und er kräftiger gebaut ist als Teddy, der so dürr ist wie ein Stock, und auch kräftiger als mein Vater, dessen Körper durch das Gewichtheben im Bodybuilding-Studio drahtig und muskulös geworden ist. Aber sie alle haben die gleichen wässrig blauen Augen. Es ist die Farbe des Meeres an einem wolkigen Tag.
    Vielleicht ist dies der Grund, warum es mir im Augenblick schwerfällt, Gramps anzuschauen.
     
    Die Sache mit Juilliard war die Idee meiner Großmutter. Sie kommt ursprünglich aus Massachusetts, zog aber 1955 nach Oregon, ganz allein. Heute wäre das keine große Sache, aber ich vermute, dass eine solche Handlungsweise vor zweiundfünfzig Jahren für eine zweiundzwanzigjährige unverheiratete Frau geradezu skandalös war. Meine Großmutter erklärte, dass sie von der weiten, offenen Wildnis angezogen worden war, und wilder als die endlosen Wälder und zerklüfteten Küstenstriche Oregons ging es nicht mehr. Sie bekam
einen Job als Sekretärin in der Forstverwaltung. Gramps arbeitete dort als Biologe.
    Wir fahren manchmal im Sommer nach Massachusetts, in eine Hütte im Westen des Staates, die eine Woche lang von der großen Familie meiner Großmutter belagert wird. Bei dieser Gelegenheit sehe ich all die Cousinen zweiten Grades, die Großtanten und Onkel, deren Namen ich kaum behalten kann. Ich habe viele Verwandte in Oregon, aber die kommen alle von Gramps’ Seite der Familie.
    Im letzten Sommer nahm ich mein Cello mit nach Massachusetts, damit ich für ein bevorstehendes Kammermusikkonzert üben konnte. Der Flug war nicht ganz ausgebucht, und so erlaubte mir die Stewardess, das Instrument auf den Sitz neben mir zu stellen, genau wie die Profis es immer tun. Teddy hielt das Ganze für einen großen Witz und versuchte, mein Cello mit Brezeln zu füttern.
    Eines Abends gab ich in der Hütte ein kleines Konzert, umringt von meinen Verwandten und den Jagdtrophäen an den Wänden. Danach erwähnte jemand Juilliard, und meine Großmutter erwärmte sich sofort für diese Idee.
    Zunächst kam mir die Sache weit hergeholt vor. An der Universität in unserer Nähe gibt es ein hervorragendes Musikangebot. Und wenn ich mich weiterentwickeln wollte, konnte ich auf das Konservatorium in Seattle gehen, das nur ein paar Stunden Autofahrt von
uns entfernt ist. Juilliard liegt auf der anderen Seite des Landes. Und es ist teuer. Meine Eltern waren zwar von der Vorstellung angetan, aber ich merkte gleich, dass keiner von ihnen scharf darauf war, mich so ohne weiteres nach New York gehen zu lassen oder sich eine Schuldenlast aufzuhalsen, damit ich irgendwann einmal in einem zweitklassigen Dorforchester spielen konnte. Sie hatten keine Ahnung, ob ich gut genug war. Ich selbst wusste es ja auch nicht. Professor Christie versicherte mir, dass ich eine der vielversprechendsten Schülerinnen sei, die sie jemals unterrichtet hatte, aber auch sie hatte Juilliard mir gegenüber nie erwähnt. Juilliard war für die Meister unter den Musikern, und es wäre mir wie eine Anmaßung vorgekommen, zu glauben, dass sie auch nur einen zweiten Blick an mich verschwenden würden.
    Aber nach der Woche in Massachusetts, nachdem mich jemand, der unparteiisch war und noch dazu von der Ostküste kam, für würdig befunden hatte, nach Juilliard zu gehen, setzte sich die Idee im Kopf meiner Großmutter fest. Sie trug sie selbst Professor Christie vor, und meine Lehrerin schnappte danach wie ein Hund nach einem Knochen.
    Also füllte ich die Aufnahmeanträge aus, sammelte meine Empfehlungsschreiben und schickte eine Aufnahme von meinem Cellospiel ein. Ich sagte Adam nichts von alledem. Ich redete mir ein, dass ich nichts überstürzen wollte, zumal ich ja noch keine Ahnung
hatte, ob man mich überhaupt zu einem Vorspielen einladen würde. Aber selbst da schon war mir klar, dass mein Schweigen gegenüber Adam einer Lüge gleichkam. Ein kleiner Teil von mir hatte den Eindruck, dass die Bewerbung allein schon eine Art von Betrug war. Juilliard war in New York. Adam war hier.
    Aber nicht mehr auf der Highschool. In meinem letzten Jahr auf der Schule besuchte er schon die Universität in der Stadt. Er ging nur zeitweise dorthin, weil »Shooting Star« langsam bekannt wurden. Die Band schloss einen Vertrag mit einer Plattenfirma aus Seattle ab, und Adam war ständig zu irgendwelchen Auftritten unterwegs. Erst nachdem ich den cremefarbenen Umschlag mit dem Schriftzug der Juilliard-Schule und dem Brief bekommen hatte, der mich

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