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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Forman
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sehr ich mir wünschte, von ihm geküsst zu werden. Ich erkannte, dass ich mir diesen Augenblick so oft vorgestellt hatte, dass ich den exakten Schwung seiner Lippen kannte, dass ich fast wusste, wie sich das Grübchen auf seinem Kinn anfühlte, wenn ich mit dem Finger darüber streichen würde.
    Meine Augen zuckten hoch. Da war Adam und wartete auf mich.
    So fing es an.

12.19 Uhr
    Ich bin ziemlich schwer verletzt.
    Offenbar ist meine Lunge kollabiert. Die Milz ist gerissen. Ich habe innere Blutungen unbekannten Ursprungs. Am schlimmsten sind die Prellungen an meinem Gehirn. Ich habe außerdem noch gebrochene Rippen, Abschürfungen an den Beinen, die eine Hauttransplantation nötig machen, und an meinem Gesicht, weshalb ich plastische Chirurgie brauchen werde. Das heißt, wenn ich Glück habe, meinen die Ärzte.
    Im Augenblick liege ich im OP. Die Ärzte müssen meine Milz entfernen und mir einen neuen Schlauch einführen, um Luft in meine Lunge zu bringen. Und sie müssen zusammenflicken, was immer die inneren Blutungen verursacht. Für mein Gehirn können sie nicht viel tun.
    »Wir warten erst einmal ab«, sagt einer der operierenden Ärzte und schaut auf den Monitor, der Auskunft über meine Hirntätigkeit gibt. »Sagt schon mal in der Blutbank Bescheid; ich brauche zwei Einheiten Null negativ, und noch mal zwei als Reserve.«
    Null negativ. Meine Blutgruppe. Das wusste ich gar
nicht. Bisher habe ich mir darüber noch keine Gedanken machen müssen. Ich war noch nie im Krankenhaus, wenn man mal von dem Tag absieht, als ich in die Notaufnahme musste, weil ich mir den Knöchel an einer Glasscherbe aufgeschnitten hatte. Es musste nicht einmal genäht werden; ich bekam nur eine Tetanusspritze.
    Im OP debattieren die Ärzte darüber, welche Musik sie auflegen sollen, genauso wie wir heute Morgen im Auto. Einer will Jazz. Ein anderer Rockmusik. Die Anästhesistin, die neben meinem Kopf steht, verlangt nach Klassik. Ich hoffe, sie setzt sich durch, und ganz offensichtlich hilft mein Hoffen, denn jemand legt eine Wagner-CD ein. Allerdings muss ich zugeben, dass der brausende Walkürenritt nicht ganz das ist, was ich erwartet habe. Ich habe mir etwas Leichteres erhofft. Die vier Jahreszeiten vielleicht.
    Der OP ist klein und überfüllt, voller blendend heller Lampen, die nur verdeutlichen, wie schmuddelig der Raum ist. Es ist ganz und gar nicht wie im Fernsehen, wo OPs immer wie blitzblanke Theater präsentiert werden, die eine Opernsängerin samt ihrem Publikum fassen können. Der Fußboden ist zwar glänzend poliert, aber mit Kratzern und Schrammen übersät und mit rostigen Streifen, die ich für getrocknetes Blut halte.
    Blut. Es ist überall. Es irritiert die Ärzte kein bisschen. Sie schneiden und nähen und wühlen sich durch einen Fluss aus Blut, als ob sie in seifigem Wasser Geschirr
spülen würden. In der Zwischenzeit wird mir eine frische Ladung in die Venen gepumpt.
    Der Chirurg, der Rockmusik hören wollte, schwitzt stark. Eine der Krankenschwestern muss ihm regelmäßig den Schweiß mit einem Gazetuch abtupfen, das sie mit einer großen Pinzette hält. Irgendwann hat er seine Maske durchgeschwitzt und muss eine neue anziehen.
    Die Anästhesistin hat sanfte Finger. Sie sitzt an meinem Kopf und überwacht meine Lebenszeichen, reguliert die Menge an Flüssigkeiten und Gasen und Medikamenten, die man mir einflößt. Sie macht ihre Arbeit wohl gut, denn ich spüre überhaupt nichts, selbst wenn sie an meinem Körper zerren und reißen. Es ist eine harte, schmutzige Arbeit, nicht zu vergleichen mit dem Operationsspiel, das wir als Kinder spielten, wo man nichts berühren darf, wenn man einen Knochen entfernt, weil ansonsten der Alarm losgeht.
    Die Anästhesistin streichelt mir mit ihren Latexfingern gedankenverloren die Schläfen. Das hat meine Mutter immer gemacht, wenn ich eine Erkältung hatte oder diese Kopfschmerzen, die so wehtun, dass ich mir am liebsten den Kopf aufgeschnitten hätte, um den Druck zu lindern.
    Die Wagner-CD läuft schon zum dritten Mal. Die Ärzte entscheiden, dass es Zeit sei für einen Stilwechsel. Jetzt ist Jazz dran. Die Leute glauben immer, dass ich Jazz mag, weil mir klassische Musik gefällt. Das stimmt nicht. Mein Vater mag Jazz, besonders die späteren,
wilden Sachen von Coltrane. Er meint, dass Jazz der Punk der alten Leute sei. Ich vermute, das erklärt die Sache, denn Punk mag ich auch nicht.
    Die Operation dauert und dauert. Mittlerweile bin ich erschöpft. Ich habe keine

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