Wenn ich dich gefunden habe
damals auf Coras Schlafzimmertür zugegangen war, obwohl er gespürt hatte, dass die Sache ein schlimmes Ende nehmen würde. Und soweit er wusste, hatte er Sissy beide Male bloß beim Fernsehen gestört. Sissy liebte romantische Komödien.
Heute guckte sie Vier Hochzeiten und ein Todesfall (»Zur Abwechslung würde ich gern mal auf eine Hochzeit gehen von jemandem, den ich wirklich liebe«, sagte gerade einer der Darsteller im Hintergrund) und begrüßte ihn mit den Worten »Was ist los?«
»Ähm …«
»Wer ist gestorben?«
»Niemand, aber …«
»OH! MEIN! GOTT!« Stanley hörte, wie sich Sissy aufrecht hinsetzte und mit der Decke kämpfte. Dann rieselte etwas auf den Boden. Klang nach mindestens einer Dose Pringles.
»Ich hab nicht im Lotto gewonnen«, sagte er hastig.
Schweigen, dann ein Knirschen. Vermutlich die Chips unter Sissys Fußsohlen, als sie nun den Weg in die Küche einschlug, um Kaffee zu machen.
»Warum zum Geier rufst du mich dann an?«, fragte sie. »Bist du nicht in Paris?«
»Doch, doch …«
»Das bedeutet dann wohl, dass ich die Kosten für dieses Telefonat tragen muss. Es hat also niemand den Löffel abgegeben, du hast keine Millionen gewonnen, und ich muss blechen? Ich kann nur hoffen, dass es einen verdammt guten Grund für diesen Anruf gibt, Stanley.«
»Es geht um Dara.«
»Hat sie im Lotto gewonnen?«
»Nein, sie …«
»Ist jemand aus ihrer Verwandtschaft gestorben? Ihr Vater, dieser … wie heißt er noch gleich, Mr. Flood?«
»Nein.«
»Wozu rufst du dann an?«
»Na ja … Wir hätten uns den Weg sparen können. Wir haben Mme Dupoint gefunden und mit ihr geredet, und Mr. Flood war bei ihr, aber er hat sie verlassen, genau wie Daras Mutter.«
»Und? Dir war doch klar, dass die Chancen nicht besonders gut stehen, oder?« Stanley hörte Papier rascheln. Wahrscheinlich hatte Sissy mal wieder seinen geheimen Vorrat an Reese’s Peanut Butter Cups gefunden.
»Schon, aber Dara ist am Boden zerstört. Sie redet nur noch von diesem Schlafzimmer.«
»Welches Schlafzimmer?«
»Isabelle Dupoints Schlafzimmer.«
»Was wolltet ihr denn in ihrem Schlafzimmer? Das klingt ja nach einem dieser irren französischen Filme, die ich immer mit dir gucken muss.« Sissy musste mitnichten immer französische Filme mit Stanley gucken. Sie setzte sich nur manchmal auf die Armlehne der Couch und lieferte einen Dauerkommentar zum Geschehen auf dem Bildschirm ab, unter anderem, was die mangelnde Handlung und das lahme Tempo anging, sodass Stanley den Film am
Ende genausowenig verstanden hatte wie sie.
»Laut Dara sieht Mme Dupoints Schlafzimmer haargenau gleich wie das ihrer Mutter aus.«
»Wie meinst du das?«
»Es ist alles noch wie damals. Als könnte er jeden Moment zurückkommen. Es hat sie echt aus der Fassung gebracht.«
»Wo ist sie jetzt?«, wollte Sissy wissen.
»In ihrem Zimmer. Sie geht weder an die Tür noch ans Telefon. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Okay, hör zu.« Inzwischen hatte sie ihm wohl verziehen, dass er weder mit Toten noch mit einem Lottogewinn aufwarten konnte.
»Ja?« Er lauschte, konnte jedoch nur hören, wie Sissy etwas kaute. Wahrscheinlich hatte sie sich gerade die zweite der drei Erdnussbutter-Riesenpralinen in den Mund geschoben. Er hoffte inständig, dass sie ihm wenigstens die letzte übrig lassen würde, sah aber ein, dass die Chancen gegen null gingen. Die Dinger waren viel zu lecker, um lange rumzustehen, wenn die Packung erst einmal offen war.
»Du musst jetzt den Mann in dir aktivieren.«
»Den Mann in mir aktivieren?« Darunter konnte sich Stanley nichts vorstellen.
»Genau. Sei ein Mann. Du musst an ihre Zimmertür hämmern, statt bloß zu klopfen. Und sag ihren Namen, als wäre es dir bitter ernst. Schrei ihn, wenn es sein muss. So oft, bis sie aufmacht.«
»Und wenn sie trotzdem nicht aufmacht?«
»Sie wird aufmachen. Du musst es nur lang genug versuchen.«
»Aber vielleicht will sie ja ihre Ruhe haben. Auf dem Rückweg zum Hotel hat sie kaum ein Wort ges…«
»Glaub mir, sie will abgelenkt werden. Du musst sie ablenken.«
»Wie denn?«
»Herrgott, Stanley, geht einfach in eine Ausstellung oder in einen Park. Besichtigt verdammt nochmal ein paar Sehenswürdigkeiten. Das kann man in Paris doch bis zum Abwinken machen. Geh mit ihr essen. Bring sie zum Lachen. Flöß ihr Wein ein. Weißt du denn gar nichts über Frauen?« Stanley hatte das Gefühl, dass er in der Tat ziemlich wenig über Frauen wusste, aber das behielt er
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