Wenn ich dich gefunden habe
’abe gewartet, viel zu lange. Isch ’abe Croissants und Pain au Chocolat und Tarte Tatin gegessen, um mir die Zeit zu vertreiben. Des’alb isch sehe aus wie dieser Berg in Dublin … wie ’eißt er … der Sugar Loaf?«
Der Sugar Loaf war zwar genaugenommen kein Berg, aber Dara nickte und drückte Mme Dupoint die Hand. »Wie war er so?«, fragte sie, überrascht über die unbändige Neugier, die sie plagte.
Mme Dupoint lächelte, und es war, als würde mitten in der Nacht die Sonne aufgehen. Plötzlich konnte Dara eine vage Ähnlichkeit mit der Frau auf den Fotos erkennen.
»Er war liebevoll und freundlisch und zärtlisch und sähr charmant. Meine Freundinnen waren verrückt nach ihm.«
Das war ja nichts Neues.
»Waren Sie mit ihm verheiratet?«, fragte Dara.
Mme Dupoint schüttelte den Kopf. »Nein. Er war mit Kathleen ver’eiratet, deiner Mutter.«
»Aber auf dem Formular stand, dass Sie …« Stanley brach ab.
»Nein«, sagte sie erneut. »Isch ’abe das nur gesagt, damit isch ihn mitnehmen darf. Und vielleicht isch ’abe ge’offt, dass wir irgendwann …« Sie sank wieder auf den Stuhl. Sie wirkte erschöpft.
»Ging er einer geregelten Arbeit nach, während er hier gelebt hat?«, wollte Stanley wissen.
Mme Dupoint schüttelte den Kopf und malte mit dem Finger ein Herz auf die verstaubte Weinflasche. »Er war ein Spieler. Das war seine Arbeit. Mal lief es besser, mal schlechter …« Sie wirkte tief in Gedanken versunken. Dann erhob sie sich plötzlich: »Bitte, isch bin so un’öflisch. Jetzt wir trinken Tee, und Ihr erzählt mir alles, ja?«
Dara war froh, die Tür hinter sich schließen zu können. Die kleine Kammer kam ihr vor wie der reinste Heiligenschrein. Sie drehte den Schlüssel im Schloss um und folgte Mme Dupoint und Stanley in die Küche. Isabelle bat sie, sich zu setzen, aber es fiel Dara schwer zuzusehen, wie sie sich schwerfällig durch die Küche bewegte, Schränke öffnete, die bis obenhin vollgestopft waren mit Lebensmitteln, und dann den Geschirrschrank, der leer war bis auf zwei Tassen, drei Teller und eine angeschlagene Schüssel.
»Isch bekomme kaum noch Besuch«, erklärte Mme Dupoint, während sie die Teller auf den Tisch stellte. »Meine Schuld natürlich. Isch war so damit beschäftigt, auf Eugene zu warten, dass isch meine Freunde und meine Familie vergessen ’abe.«
Dara kannte ihren Vater nur als Mr. Flood und fand es seltsam, dass er Eugene genannt wurde. Der Name schien irgendwie nicht so recht zu ihm zu passen.
Mme Dupoint holte drei winzige Porzellantassen aus einer Vitrine im Wohnzimmer und schenkte Tee ein, dann stellte sie Brot, Käse, Salami und eine Schüssel Oliven und Kapern bereit und sagte: »Esst!« Stanley und Dara kamen der Aufforderung nach, wenngleich es Dara einige Überwindung kostete. Sie war gerührt und hatte zugleich das Gefühl, dass weder sie, noch Mr. Flood Isabelle Dupoints Gastfreundschaft verdient hatten. Und sie war wieder einmal in einer Sackgasse gelandet. Mme Dupoint versicherte ihr zwar, dass Mr. Flood seiner Tochter eine Niere spenden würde, wenn er von der Situation erfahren würde, doch Dara war nicht überzeugt.
»Hat Mr. … Eugene etwas zurückgelassen?«, fragte Stanley.
»Abgesehen von mir, meinen Sie?«, fragte Mme Dupoint,
aber es schwang keine Bitterkeit in ihren Worten mit. Sie stülpte einen Kannenwärmer über die Teekanne und erhob sich. »Kommen Sie«, sagte sie und ging zur Tür.
Dara schnappte nach Luft, als sie das Schlafzimmer betrat, denn es glich dem ihrer Mutter aufs Haar. Es herrschte dieselbe einseitige Symmetrie: In der Mitte das Doppelbett, dessen linke Seite ungemacht und zerwühlt war, während auf der rechten die frisch gewaschenen Laken straff gezogen waren, als hätte Mr. Flood keine einzige Nacht hier verbracht. Der linke Nachttisch übersät mit Bonbonpapierchen und halbleeren Keksschachteln, dazwischen eine leere Flasche Wein, eine Tasse, ein Glas, ein Teller mit den Resten einer Apfeltarte und eine braune Banane. Der rechte war leer bis auf eine dicke Staubschicht und ein Paar Manschettenknöpfe, die über die Jahre fleckig geworden waren. Zwei Kleiderschränke, von denen einer offenstand und den Blick auf eine Reihe dunkler Kleider freigab, wie sie Mme Dupoint trug. Die Französin ging zu dem anderen Schrank und öffnete ihn, und einige leere Metallbügel stießen gegeneinander und klimperten leise eine unheimliche Melodie. Die Kleidungsstücke, die daneben hingen, kamen Dara
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