Wenn ich dich gefunden habe
sehr vertraut vor. Es waren haargenau die gleichen wie die, die einer der Schränke im Schlafzimmer ihrer Mutter bis vor kurzem enthalten hatte. Ein Anzug »für Beerdigungen und dergleichen«, wie Mr. Flood es genannt hatte, eine Hose, drei Hemden, ein Paar Turnschuhe (diese allerdings mit Schnürsenkeln), zwei alte Schuhe, die nebeneinander standen, als gehörten sie zusammen – als würden sie glauben, dass sie zusammengehörten – und ganz hinten in der Ecke ein Pullover. Ein grüner Pullover.
Das Schlafzimmer, und alles, was sich darin befand, erfüllte Dara mit hoffnungsloser Resignation. Sie sah sich
auf ihrer Suche nach Mr. Flood an einer ganzen Reihe von Schlafzimmern vorbeiziehen, jedes einzelne eine Kopie des Schlafzimmers ihrer Mutter. Was mochte das wohl für ein Mann sein, den man am Ende einer solchen Reihe fand? Die Antwort lag auf der Hand.
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Dass Stanley nach ihrer Rückkehr ins Hotel seine Mitbewohnerin anrief, ließ darauf schließen, wie verzweifelt er war. Sissy war nämlich gerade im Dienst, und sie hatte Stanley strikt verboten, sie zu stören, wenn sie im Dienst war, mit zwei Ausnahmen: 1) Er durfte sie anrufen, falls einer seiner Angehörigen – und dazu zählte sie großzügigerweise auch Clouseau – gestorben war. 2) Er durfte sie anrufen, wenn er über eineinhalb Millionen im Lotto (oder auf andere Art und Weise) gewonnen hatte.
In sämtlichen anderen Fällen, etwa bei einem Gewinn über fünfhunderttausend Euro oder falls einer seiner Angehörigen nur schwer verletzt war, sollte Stanley eine SMS schicken, mailen, twittern oder eine Nachricht bei Facebook oder auf ihrem Blog posten. Sissys Blog hieß 366 Tage Herzschmerz, allerdings konnte es sein, dass sie den Titel nun, da sie zumindest offiziell über Duncan hinweg war, geändert hatte.
Nun mochte man annehmen, dass Sissy einer Tätigkeit nachging, die ihre vollste Aufmerksamkeit erforderte, dabei war sie lediglich Kolumnistin bei einer Illustrierten, in der auch Stanley gelegentlich blätterte (obwohl es eine »Frauenzeitschrift« war) und in der er durchaus immer wieder über interessante Artikel stolperte. Zum Beispiel die Ratgeberseite Liebe Angie – massenhaft Briefe über Untreue. Stanley fand es schrecklich, dass es so viel Untreue
auf der Welt gab, aber andererseits war es tröstlich zu wissen, dass er nicht allein war.
Sissys Kolumne stammte ganz unverkennbar von Sissy. Stanley erkannte sie in jeder einzelnen Zeile, wenn sie ihre Meinung zu verschiedensten Themen kundtat: Fettabsaugen ( Fressen wie ein Mähdrescher und dann ab in den OP, damit man aussieht, als hätte man nur ein paar welke Salatblätter zu sich genommen ) etwa oder 27 Tipps zur Pickelbekämpfung ( Ausdrücken nur in akuten Notfällen, etwa eine Stunde vor dem ersten Date mit einem jener selten anzutreffenden Exemplare der Spezies Mann, die gutaussehend und intelligent sind ), einschließlich einer genauen Ausdrückanleitung. Oder 4 Dinge, ohne die frau nie das Haus verlassen sollte: Pinzette, signalroter Lippenstift, Abdeckstift und ein Buch – selbst wenn man in seinem ganzen Leben noch kein Buch gelesen hat. Ein richtig großes, dickes, hinter dem man sich gut verstecken kann. Eine gute Partie von Vikram Seth zum Beispiel. Höchst hilfreich, wenn man in einem öffentlichen Verkehrsmittel jemanden trifft, mit dem man nicht reden will oder wenn man beim Friseur sitzt und seine Urlaubspläne nicht preisgeben möchte. Nichts schreckt Menschen mehr ab als ein schöner fetter Wälzer. Vor allem, wenn es sich um einen Ratgeber zum Thema Antiaggressionstraining handelt.
Sissys Kolumne hieß »Sissy Clarke Ha Ha Ha«, in Anlehnung an eines ihrer Lieblingsbücher. Der Titel zeugte außerdem von ihrem Hang zur Selbstironie, der bei ihrer Leserschaft hervorragend ankam.
Wie dem auch sei, Sissy konnte ihrer Arbeit im Grunde überall nachgehen, aber sie tat es am liebsten auf der Couch in Stanleys Wohnzimmer, eingewickelt in eine Bettdecke wie ein überdimensionales Würstchen im Schlafrock
und mit ein, zwei Dosen Pringels in Reichweite. Die scharfen. Die mochte sie am liebsten.
Es gab also eigentlich keinen Grund, warum Stanley sie nicht anrufen durfte – zehnmal täglich, wenn es ihm beliebte. Doch sie unterband jeglichen Kontakt mit dem Argument, das würde ihre Gedankengänge unterbrechen. Stanley hatte bis dato zweimal von der Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Das erste Mal, als seine Großmutter gestorben war, und das zweite Mal, als er
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