Wenn ich dich gefunden habe
auf ihrer Schulter wirkte so tröstlich wie ein Wiegenlied.
»Entschuldigen Sie, Stanley«, schniefte Dara, als sie sich schließlich wieder aufrichtete und sich nach einem Taschentuch umsah.
»Kein Problem«, winkte Stanley ab und reichte ihr eine Packung aus der Brusttasche seines Hemds. »Ist doch verständlich.«
Dara trocknete sich das Gesicht und schnäuzte sich. »Nein, ist es nicht. Ich wusste ja, dass die Chancen gleich null sind. Keine Ahnung, warum ich es mir so zu Herzen nehme.«
Stanley sah auf die Uhr. »Wahrscheinlich haben Sie Hunger. In Irland ist es schon nach Mittag.«
Dara nickte. Sie war tatsächlich hungrig, auch wenn sie es unter den gegebenen Umständen reichlich oberflächlich fand. »Ich weine aber nicht, weil ich Hunger habe«, sagte sie.
Stanley nickte. »Ich weiß, aber mit leerem Magen kommt einem doch alles immer noch schlimmer vor, nicht?«
Dara nickte. Sie hatte plötzlich unbändige Lust auf Kartoffelbrei mit Butter und Schnittlauch und Salz und Pfeffer. Die Vorstellung wirkte genauso tröstlich wie die Erinnerung an George, wie er auf ihren Knien gesessen und über das ganze Gesicht lächelnd zu ihr hochgesehen hatte. Ein Lächeln mit Zunge und Zähnen und Zahnfleisch und Ohren und Tasthaaren. Sie stand auf, und das Bild verblasste.
Stanley reichte Dara ihr Handy. »Rufen Sie sie an«, sagte er mit einem ermutigenden Nicken. »Und dann gehen wir, ja?«
»Ich hätte Sie nicht überreden sollen, mich nach Paris zu begleiten. Es war eine totale Zeitverschwendung, und jetzt sitzen Sie hier fest.«
»Ich habe schon an weniger schönen Orten festgesessen.« Stanley deutete auf das Fenster, das den Arc de Triomphe einrahmte wie ein Gemälde.
Dara musste unwillkürlich lächeln. Stanley reichte ihr noch ein Taschentuch, und sie wischte sich die letzten Tränen weg, putzte sich erneut die Nase und klappte dann ihr Handy auf, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Sie wählte die Nummer ihrer Mutter und registrierte mit einer Mischung aus Erleichterung und schlechtem Gewissen, dass sie gleich auf die Mailbox umgeleitet wurde. Sie räusperte sich.
»Mam, hier ist Dara. Du hattest leider recht, er ist nicht hier. Er war hier, aber das ist schon Jahre her, und dann ist er verschwunden, und keiner weiß wohin … Es … Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen. Ich rufe gleich noch Angel an und erzähle es ihr. Es tut mir leid. Bye.«
Dann wählte sie Angels Nummer. Auch diesmal erreichte sie nur die Mailbox. Dara zögerte. Sie hätte ihrer Schwester viel lieber eine gute Nachricht hinterlassen. Sie verhaspelte sich mehrfach, und am Schluss sagte sie »Ich liebe dich«, obwohl das in ihrer Familie unüblich war. Angel würde wissen, wie hoffnungslos die Lage war, wenn sie das hörte. Aber es war zu spät, Dara konnte die Worte nicht mehr zurücknehmen. Sie legte auf.
»Na, besser?«, fragte Stanley vorsichtig.
Dara schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«
»Das muss es nicht«, sagte Stanley. »Das ist alles nicht Ihre Schuld. Sie tun doch schon Ihr Möglichstes.«
Dara schwieg. Es war überflüssig zu erwähnen, dass ihre Bemühungen nichts gefruchtet hatten. Das wusste er auch so.
Stanley griff nach ihrer Tasche. »So, und jetzt machen wir uns auf die Socken.«
Dara öffnete den Mund, doch Stanley ließ sie nicht zu Wort kommen. »Wir sind in Paris, da sollten wir nicht die ganze Zeit im Hotel hocken. Wir gehen jetzt etwas essen, und dann sehen wir uns ein paar der Sehenswürdigkeiten an, von denen es hier so viele gibt. Und wir müssen zum Eiffelturm, ehe es dunkel wird. Für Miss Pettigrew.«
»Sie haben recht.«
»Womit?«, fragte Stanley. Seine Pupillen waren so groß, dass seine Augen fast ganz schwarz waren. Dara lächelte über seine Verwirrung. Es war offensichtlich, dass Stanley nicht allzu oft Befehle erteilte, und das gefiel ihr, genauso wie die Tatsache, dass er hier war und sich nach Kräften bemühte, energisch aufzutreten.
»Wir sollten uns auf die Socken machen«, sagte sie.
»Finden Sie?«
»Ja.«
»Wo gehen wir hin?«
»Überallhin.«
48
Stanley hatte den ganzen Nachmittag über ein seltsames Gefühl, das sich auch abends hartnäckig hielt, während er mit Dara auf der Suche nach einem Lokal, in dem sie zu Abend essen konnten, durch das Quartier Latin schlenderte. Er wusste nicht genau, wann es angefangen hatte. Vermutlich auf dem Eiffelturm.
»Lächeln«, hatte er Dara zugerufen, als sie vorhin in ihrem weich
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