Wenn ich dich gefunden habe
Service Centre, kurz IFSC, weshalb sie sich nur einmal pro Woche trafen. Ab und an auch zweimal, wenn es sein Zeitplan erlaubte. Normalerweise sahen sie sich am Samstagabend, und dann gingen sie ins Kino
oder unternahmen einen Spaziergang an einem einsamen Strand, oder sie gingen in einem abgelegenen Restaurant mit schummriger Beleuchtung essen.
»Aber du warst noch kein einzigäs Mal bei ihm zu Hausä«, sagte Anya. »Wo paart ihr euch?« Obwohl Anyas Englischkenntnisse hervorragend waren und ihr die Formulierungen »Sex haben« oder »Liebe machen« durchaus geläufig waren (auch wenn ihr Letztere niemals über die Lippen gekommen wäre), zog sie den Ausdruck »sich paaren« vor. Die Leute sahen es ihr lächelnd nach, weil es irgendwie zu ihrem melancholisch klingenden polnischen Akzent passte.
Nach dem Kino oder den Spaziergängen an einsamen Stränden oder dem Essen in abgelegenen Restaurants mit schummriger Beleuchtung folgte stets ein komplizierter Sexmarathon in einer Wohnung im IFSC, die Ians Firma gehörte und am Samstagabend häufig leer stand, wegen der Rezession (vor dem Wort »Rezession« zögerte er immer, und dann flüsterte er es, als hätte er Angst, wenn er es laut aussprach, dann könnte ihn die Rezession womöglich bemerken und ihm zum Verhängnis werden, wie so vielen seiner Kollegen).
Ian Harte war stolz auf seine Fähigkeiten als Liebhaber, und obwohl Dara zugeben musste, dass seine Technik einwandfrei war, wünschte sie zuweilen, er würde die Angelegenheit mit etwas weniger Ernst anpacken. Er näherte sich ihrem Körper mit derselben Entschlossenheit, mit der man sich ein kniffliges, tausendteiliges Puzzle vornimmt.
»Bei ihm zu Hause geht es nicht. Ich hab dir doch erzählt, dass er bei seiner kränklichen Mutter wohnt.«
»Ein Fünfzigjähriger, der noch bei seiner Mutter lebt«, wiederholte Tintin. »Ich meine … Was … Wie kann
das …?« Er brach ab, unfähig, sein Erstaunen über Ian Hartes Wohnverhältnisse in Worte zu fassen.
»Seine Mutter sitzt im Rollstuhl«, erinnerte ihn Dara. »Er kümmert sich um sie.«
»Aber er ist nie da«, bemerkte Anya zu Recht. »Är ist immer unterwägs. Geschäftlich«, setzte sie zynisch hinzu, doch da sie vielem zynisch gegenüberstand, ging Dara gar nicht weiter darauf ein.
»Genau deswegen haben sie doch eine Haushaltshilfe.«
Anya machte nur »Hmmm.«
Dara blieb nie die ganze Nacht in der Wohnung. Sie genoss das Essen, die Spaziergänge, das Kino, ja, sogar die langatmigen Schäferstündchen, aber die Vorstellung, morgens neben Ian Harte aufzuwachen, behagte ihr ganz und gar nicht. Das kam ihr eine Spur zu intim vor. Zu häuslich. Sie war mit dem Status quo zufrieden. Es störte sie nicht, dass sie sich im unpersönlichen Ambiente einer Dienstwohnung »paarten«, und es genügte ihr vollauf, Ian nur einmal die Woche zu sehen. Die Beziehung führte nirgendwohin, und das war Dara ganz recht so. Es gab keine Erwartungen, und damit waren auch Enttäuschung, Verunsicherung, und der letztendlich unvermeidbare Verfall von vornherein ausgeschlossen. Selbst Mrs. Flood hätte dieses Arrangement gutgeheißen, hätte sie davon gewusst.
Früher hatte sich Dara von den hohen Erwartungen ihrer Freunde stets überfordert gefühlt. Anya hatte dazu eine Theorie. »Du ziehst Opfertypen an«, hatte sie ihr mal erklärt, als sie an einem Mittwoch wie üblich im Doghouse beim Feierabendbier saßen. Da sie oft am Wochenende arbeiten mussten, hatten sie irgendwann beschlossen, am Mittwochabend das zu tun, was andere Leute am Freitag taten.
»Das ist gar nicht meine Absicht«, hatte sich Dara verteidigt.
»Äs liegt daran, dass du dir so geduldig den ganzen Mist anhörst, den sie ärzählen. Sag lieber auch mal ›KLAPPÄ ZU!‹« Dara fuhr zusammen, denn Anya hatte ohne Vorwarnung die Stimme erhoben, sodass sich alle anderen Gäste nach ihr umdrehten. »So wie ich.«
Anya hatte recht. Dara zog tatsächlich Opfertypen an, auch wenn sie es anders ausdrückte. »Sie haben eben viel mitgemacht«, hatte sie zu Anya und Tintin gesagt.
In der Schule war es Eamonn Tweedy gewesen. Anya nannte ihn »Needy Tweedy«, seit Dara ihr von ihm erzählt hatte. Eamonn hatte oft geweint. Erst, weil sich Dara einverstanden erklärt hatte, mit ihm auszugehen; dann, weil sie sich von ihm trennen wollte, und erneut, als sie einwilligte, ihm noch eine Chance zu geben. Dann hatte er sie mit einem Mädchen namens Penelope Gavin betrogen und Dara unter Tränen seinen Fehltritt
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