Wenn ich dich gefunden habe
gebeichtet.
»Er war eben sehr sensibel«, hatte Dara ihn verteidigt.
»Är war eine verdammte Heulsusä«, hatte Anya im Brustton der Überzeugung gesagt.
Dann hatte sie im Sekretariatslehrgang Seamus Delaney kennengelernt. Er war der einzige männliche Teilnehmer gewesen; ein totales Landei, neu in der Stadt, einsam bis dorthinaus und mindestens genauso schwul, was ihm damals allerdings noch nicht klar gewesen war. Dara hatte ihm die Augen geöffnet, mit ihrer sanften Stimme, ihrem unerschöpflichen Langmut und ihrer Bereitschaft, ihm stundenlang zuzuhören, ohne ihn zu unterbrechen. Seamus konnte sein Glück kaum fassen, zumal er gehört hatte, die Mädchen in Dublin seien verwöhnte Zicken. Dara hatte sogar immer noch Kontakt zu Seamus, der mittlerweile mit
seinem Lebensgefährten Norman in San Francisco wohnte. Es war sogar ein Baby unterwegs.
Dann kam Oliver Browne, alias »Melancholy Olly«, ein großer, schlacksiger Typ mit verwaschenen Zügen und hellblauen Augen, deren Blick stets auf einen Gegenstand irgendwo in der Ferne gerichtet war. Sein vierzigster Geburtstag hatte ihn in eine tiefe Krise gestürzt, die er mit dreiundvierzig, als Dara ihn kennenlernte, noch immer nicht überwunden hatte. Er war eines Tages frisch geschieden und auf der Suche nach einem Welpen ins Asyl gekommen.
»Ich brauche ein bisschen Gesellschaft«, hatte er Dara gestanden. »Das Haus ist so schrecklich ruhig, seit sie mit den Kindern zu diesem anderen Kerl gezogen ist.«
Der andere Kerl, das war Gerry Strokes, ein Selfmademillionär, der sich sein Vermögen mit dem landesweiten Vertrieb von Toilettenpapierhaltern, Klobürsten und Seifenspendern verdient hatte. Es gab kaum ein Hotel oder Restaurant in Irland, in dem kein Erzeugnis von Gerry Strokes hing oder stand.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wo ich ihm seine Klobürsten am liebsten hinstecken würde«, hatte Oliver mehr als einmal bemerkt, und Dara hatte genickt. Sie konnte es sich lebhaft vorstellen.
Oliver hatte kein Problem damit, vor Dara einen Seelenstriptease hinzulegen. Im Gegenteil. Er vertraute ihr jedes noch so schmutzige, schäbige Detail seines Lebens mit seiner Ex an, die er stets nur sie nannte. Sie hieß Jane, ein ziemlich unschuldig klingender Name für eine Frau, die so tiefe seelische Wunden hinterlassen hatte, fand Dara.
»Das ist keine Beziehung, sondern eine Therapie«, hatte Tintin zu Dara gesagt.
»Zieh bei mir ein«, hatte Oliver Dara mehrfach gebeten,
häufig mit gedämpfter Stimme, weil sein Gesicht zwischen ihren Brüsten vergraben war. Dara war aufgefallen, dass die Männer von ihren Brüsten immer ganz besonders angetan waren. Vielleicht waren sie überrascht, wenn unter ihren Fleecejacken, Schlabberpullis, T-Shirts und Sport-BHs tatsächlich ein Busen zum Vorschein kam.
Sie hatte stets den Kopf geschüttelt und an seinem Ohrläppchen geknabbert, um ihn abzulenken, was meist gut funktionierte, doch diesmal klappte es nicht.
»Wir kennen uns jetzt schon seit sechs Monaten«, hatte er gesagt. »Es ist an der Zeit für den nächsten Schritt.«
»Wir kennen uns erst seit sechs Monaten«, hatte sie ihn korrigiert. »Und es ist doch alles wunderbar, nicht?«
Offenbar war es das nicht. Nicht für ihn. Er wirkte enttäuscht und verunsichert, und nach ein paar Wochen gab ihre Beziehung unter dem Druck dieser vermaledeiten Gefühle nach, und es folgte der letztendlich unvermeidbare Verfall.
Was noch in Ordnung gewesen wäre, wenn die Angelegenheit damit erledigt gewesen wäre. Aber das war sie nicht. Es folgten mitternächtliche Anrufe – meist mehrere. Oliver flehte sie an, zu ihm zurückzukommen. Bei ihm einzuziehen. Ihn zu heiraten. Mit ihm Kinder in die Welt zu setzen. Er hatte immer vier Kinder haben wollen, aber sie hatte ihn nach dem zweiten verlassen.
Dara lehnte jedes seiner Ansinnen freundlich aber bestimmt ab. Sie fing an, sich Sorgen um Oliver zu machen, als er anfing, darüber zu reden, dass das Leben nicht lebenswert war und dass er sich von der O’Connell Bridge stürzen oder sich vor einen Zug werfen wolle. Das Ende vom Lied war, dass er eine Handvoll Schmerztabletten schluckte und mit einer halben Flasche Jack Daniels nachspülte.
Es war eher ein Winseln als ein Hilfeschrei, und er konnte es kaum erwarten, Dara davon zu erzählen. Er rief sie aus dem Krankenhaus an, mit schwacher, rauer Stimme, weil man ihm einen Schlauch in den Hals geschoben hatte, um ihm den Magen auszupumpen.
»Ich wollte nicht ohne dich leben,
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