Wenn ich dich gefunden habe
war in seinem Leben erst ein einziges Mal leise gewesen, und zwar als er im Vorjahr beim Rollerskaten im Park gegen einen tiefhängenden Ast gefahren und k.o. gegangen war. Trotzdem holte Mrs. Flood ihren Mantel.
Im Club führte Dara ihre Mutter an einen Zweiertisch, rückte ihr den Stuhl zurecht und ging zur Bar. Stanley hatte sie gebeten, mehr über Mr. Flood herauszufinden. Als
wäre das so einfach. Als wäre eine normale Unterhaltung mit Mrs. Flood nicht viel schwieriger als eines der hierzulande so beliebten Gespräche über das Wetter, die Rezession o der The X Factor.
Mrs. Flood hatte das Thema seit neulich Abend, als Dara Lasagne und Apfelkuchen gemacht und Angel am Küchentisch geweint hatte, nicht mehr erwähnt.
Mittlerweile war sie wieder ganz die Alte, legte mehr denn je ihre stoische Ruhe zur Schau. Immer schön die Ohren steifhalten, das war ihr Motto. Eine Kunst, die sie hervorragend beherrschte, wie Dara zugeben musste. Mrs. Flood hatte ja auch schon genügend Zeit gehabt, sich darin zu üben, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Zumal das damals nur Frauen widerfahren war, die es wirklich verdient hatten.
Aber der einzige Mensch, von dem Dara etwas über Mr. Flood in Erfahrung bringen konnte, war Mrs. Flood, und dies war – theoretisch – eine ideale Gelegenheit dafür. Sie waren allein unterwegs, auf neutralem Boden, wo nicht alles an Angel erinnerte und daran, dass plötzlich alles anders war.
Trotzdem blieb Dara noch kurz an der Bar stehen, nachdem Miguel, der Barkeeper, ihr die Getränke serviert hatte. Sie hielt ihr Bier in der Hand, das allmählich warm wurde, und zermarterte sich das Hirn, aber ihr wollte partout kein geeigneter Gesprächseinstieg einfallen.
Schließlich kehrte sie zum Tisch zurück und reichte ihrer Mutter ihr Getränk. Mrs. Flood hob das Glas an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Als sie es abstellte, war es halbleer. Oder halbvoll, wie Angel bis vor kurzem noch gesagt hätte. Mrs. Flood schmatzte nicht wie sonst mit den Lippen, und sie sagte auch nichts von wegen
»Lebenselixier«, dabei wünschte Dara, sie täte es, und sei es nur, damit sie sich nicht anschwiegen, damit sie einen Grund hatten, einander zuzulächeln oder vielleicht sogar gemeinsam zu lachen, wie zwei normale Leute, die sich an einem Freitagabend in einem Club gegenübersaßen.
Es hatte immerhin den Anschein, als würde es Mrs. Flood genießen, die Paare zu beobachten, die eng umschlungen auf dem winzigen Parkett das Tanzbein schwangen. Sie selbst hatte keine Lust zu tanzen, weil sie nach einem besonders anstrengenden Termin am Nachmittag (Dauerwelle und Coloration) geschwollene Knöchel hatte. Sie zupfte an einem losen Faden, der von einem Knopf an ihrer Strickjacke abstand, bis sich der Knopf löste. Später warf sie ihn in einen Mülleimer, statt ihn wie sonst im Münzenfach ihres Portemonnaies zu verwahren, bis sie dazu kam, ihn wieder anzunähen.
Das Schweigen zwischen ihnen zog sich in die Länge wie ein dünnes Gummiband, das jeden Moment zu reißen droht. Dara überlegte noch immer, wie sie ein Gespräch über ihren Vater anleiern sollte, doch ihr Körper war abgelenkt – er bewegte sich im Takt zu den heißen Rhythmen.
Mrs. Flood stupste Dara mit dem Ellbogen an. »Geh tanzen. Du machst mich ganz nervös mit deinem Rumgehampel.«
»Wie bitte?« Die Musik war laut, viel lauter als eigentlich nötig, und somit ein guter Grund, sich nicht zu unterhalten. Sie machte es Dara unmöglich, sich zu konzentrieren. Es fühlte sich an, als wäre die Musik in ihr.
»GEH TANZEN, HAB ICH GESAGT.« Mrs. Flood zeigte auf die Tanzfläche und wiegte sich mit einem imaginären Tanzpartner lebhaft im Takt. Dann erstarrte sie plötzlich
mitten in der Bewegung. »Herr im Himmel, verschone mich«, keuchte sie und ließ hastig die Arme sinken.
»Was ist denn pas…« Dara verfolgte, wie Mrs. Flood nach ihrem Portemonnaie griff und es wie zufällig auf den Boden fallen ließ, nur um sogleich vom Stuhl zu rutschen und mit einer Gelenkigkeit, die man einer Frau ihren Alters und ihrer Statur schwerlich zugetraut hätte, unter dem Tisch zu verschwinden, wo sie auf Händen und Knien verharrte. Dara kam flüchtig der Gedanke, Mr. Flood könnte hinter ihr aufgetaucht sein, mit einer Packung Zigaretten in der Hand und einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen. »Tut mir leid, dass ich so lange weg war, Schatz«, würde er sagen. »Ich musste eine Ewigkeit anstehen.« Eine verrückte Vorstellung,
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