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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
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geht. Ich sehe auf meine Armbanduhr. Vier Stunden bis zum Abendessen. Mein Blick gleitet zum Fenster.
    Eine graue Wolkenbank lauert am Horizont.
    Sieht aus, als könnte es später regnen.
    Ich schließe die Augen.



17
    Am Freitagabend erklomm Dara die Treppe ins Obergeschoss und klopfte an Angels Zimmertür. Sie erwartete nicht, dass Angel ja sagen würde, aber sie fragte trotzdem. Wie es schien, war sie optimistischer als angenommen.
    »Ich bin zu müde«, sagte Angel, und als Dara nichts darauf erwiderte, hob sie den Blick von dem Buch, das sie zu lesen vorgab. Ihre Miene war abweisend. »Ich war heute bei der Dialyse«, sagte sie. »Danach ist man immer müde.« Das stimmte theoretisch, aber bisher war es anders gewesen.
    Dara wippte ratlos in ihren Turnschuhen auf der Schwelle zu Angels Zimmer auf und ab. Was konnte sie tun oder sagen, um etwas zu ändern? Auf Angels Schranktür klebte ein Foto von ihnen dreien, aufgenommen vor einem Monat bei einer Salsa-Tanzshow. Es zeigte Angel in einem roten Kleid, den Kopf in den Nacken geworfen, lachend. Sie hatte die Arme um Dara und Mrs. Flood geschlungen, die zwischen ihnen stand und lächelnd zu ihr hochsah, als hätten sie soeben völlig unerwartet einen Wettbewerb gewonnen. Angel war glücklich gewesen. Obwohl sie mit nur einer Niere zur Welt gekommen war. Obwohl Mr. Flood auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Obwohl sie wegen einer Infektion seit Jahren zur Dialyse musste. Dara war, was Glück anging, von Natur aus misstrauisch, aber ihr war nie bewusst gewesen, dass es auf so wackligen
Beinen stand. Dass der seidene Faden, an dem es hing, so hauchdünn war.
    Sie schluckte schwer und räusperte sich. »Na gut, dann vielleicht nächstes Mal«, sagte sie betont beiläufig.
    Angel lächelte gezwungen. »Ja, vielleicht«, sagte sie und blätterte die ungelesene Seite um.
    »Soll ich dir eine Tasse Kakao machen, bevor ich gehe?«
    »Nein.« Angel legte einen Finger auf die Buchseite. »Danke«, fügte sie hinzu. Gegen alte Angewohnheiten kommt man nicht an.
    »Okay, dann werde ich mal …« Dara zögerte. »Aber falls jemand vom Krankenhaus anruft …«
    »Es wird niemand anrufen«, unterbrach Angel sie. Dara überging ihren lapidaren Tonfall einfach.
    »Aber falls doch …«
    »Dann rufe ich dich an«, gelobte Angel, und das war’s.
     
    Dara liebte Salsa. Nur wenn sie tanzte, konnte sie sich vollkommen gehen lassen. Sie tat es nicht bewusst. Nein. Im Gegenteil. Es passierte einfach. Sobald sie anfing zu tanzen, vergaß sie alles um sich herum. Sie tanzte, als wäre sie gar nicht da. Als würde ihr niemand zusehen. Aber es sahen alle zu, weil sie so gut war. Vielleicht lag es an ihrer Größe. Dara war einen Meter sechsundfünfzig Zentimeter und fünfundachtzig Millimeter groß, und obwohl das mit den fünfundachtzig Millimetern ein bisschen lächerlich war, ließen die Leute es ihr durchgehen. Wohl weil sie ohnehin schon so winzig war. Bei so kleinen Menschen ist der Körperschwerpunkt stabiler, weil er sich näher am Boden befindet als bei großen Menschen. Das war eine Erklärung. Außerdem war Mr. Flood ein hervorragender Tänzer gewesen, wie sogar Mrs. Flood zugeben musste.
    An diesem Freitagabend konnte man Mrs. Floods Laune nur als rastlos bezeichnen. »Ich glaube, ich lasse den Salsakurs heute sausen«, sagte sie. »Jemand sollte bei Angel bleiben.«
    Dara hatte geahnt, dass ihre Mutter so argumentieren würde und entsprechende Vorkehrungen getroffen. »Ich habe Tintin gebeten vorbeizukommen«, sagte sie. Sie freute sich nicht sonderlich darauf, allein mit ihrer Mutter tanzen zu gehen. Ohne Angel. Aber sie hatten eine lange, anstrengende Woche hinter sich, und Mrs. Flood war die Anspannung deutlich anzusehen. Sie war blass und hatte breite dunkle Ringe unter den Augen.
    Mrs. Flood musste wider Willen lächeln, als Tintins Name fiel. Sie mochte Tintin und nannte ihn den Sohn, den sie Gott sei Dank nie hatte. Natürlich flirtete er auf Teufel komm raus mit ihr, und wenn sie ihm dann eine zärtliche Ohrfeige verpasste und sagte, er sei noch nicht zu alt, um den Hintern versohlt zu bekommen, juchzte er schelmisch: »Mit der breiten Haarbürste?«
    »Glaubst du wirklich, Angel hat Lust auf Gesellschaft?«, fragte Mrs. Flood mit ihrer trockenen, kritischen Art.
    »Sie wird gar nicht merken, dass er hier ist«, sagte Dara. »Sie verlässt doch kaum je ihr Zimmer, und Tintin hat versprochen, leise zu sein.«
    Mrs. Flood schnaubte, und nicht zu Unrecht – Tintin

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