Wenn ich dich gefunden habe
geöffnet hatte. Er dachte nur äußerst ungern an diese Reise, weil er sich im Nachhinein damit quälte, Coras Affäre mit Cormac, der damals gerade Single gewesen war, könnte womöglich dort ihren Anfang genommen haben. Wenn man mit einer Affäre liebäugelt, dann wäre es doch einleuchtend, sie in Italien zu beginnen, nicht?
»Wir sollten uns wieder auf den Weg machen«, sagte er und stand von der Bank vor der Mariengrotte auf, vor der sie ihren Kaffee getrunken hatten.
»Ja.« Dara seufzte, drückte ihre Zigarette gründlich aus und verstaute den Stummel in ihrer kleinen Plastikdose. Dann zückte sie ein Päckchen Kaugummis und hielt Stanley einen hin. Er schüttelte den Kopf.
»Ist alles okay?«, fragte er. »Sie wirken irgendwie … besorgt.«
»Ach, das tue ich immer«, sagte sie, und Stanley nickte. Er hatte es sich fast gedacht. »Ich meine, ich erwarte mir nicht viel vom heutigen Tag«, räumte sie zu seiner großen Erleichterung ein. »Aber es besteht immerhin eine kleine Chance, nicht?«, fuhr sie fort, und Stanley nickte behutsam. »Genau das ist es, was mir Sorge bereitet. Wissen Sie, was ich meine?« Stanley nickte erneut. Er wusste es.
Bailieborough war auf den ersten Blick eine florierende Kleinstadt mit einer breiten Hauptstraße, an deren einem Ende eine Kirche der Church of Ireland emporragte und am anderen ein Freimaurer-Gebäude. Dazwischen war die Straße von Geschäften, Imbissbuden und Pubs gesäumt. Doch als sie einen kurzen Spaziergang unternahmen, weil sie für das Treffen mit Slither Smith noch zu früh dran waren, und dabei das Zentrum verließen, wurde Stanley bald klar, dass Bailieborough eine der Kleinstädte war, die der keltische Tiger verschlungen und wieder ausgespuckt hatte. Davon zeugten zahlreiche, von rostigen Baugerüsten gestützte, halbfertige Häuser in überwiegend leeren Wohnsiedlungen, umgeben von Bauschutt, anstelle der versprochenen Landschaftsgärten. Selbst Stanley, der diesbezüglich nicht gerade bewandert war, erkannte, dass die Häuser
nach dem »Hoch und billig«-Konzept errichtet worden waren, welches bei den Bauunternehmen während des Booms bevorzugt zum Einsatz gekommen war. Man hatte keinen Gedanken daran verschwendet, ob die schmalen Gärtchen zwischen den Gebäuden genügend Platz boten für so wichtige Dinge wie Hüpfburgen oder Trampoline. Was jedoch die Kinder – wie immer – nicht vom Spielen abhalten konnte: Sie warfen Steine, die sie von der halbfertigen Straße aufgeklaubt hatten, in einen versumpft aussehenden Tümpel am Ende der Siedlung, sodass der an der Wasseroberfläche treibende Froschlaich schaukelte.
Stanley und Dara folgten der Straße durch die Siedlung. Am oberen Ende angelangt, blieb Stanley stehen. »Sieh an, ein Feenring.«
»Ein Feenring?«, wiederholte Dara.
»Dort.« Stanley deutete auf einen Kreis aus Ginsterbüschen auf einer kleinen Erhöhung am Rand der Siedlung. »Man hat der Baufirma wohl untersagt, ihn zu zerstören.« Die Büsche hatten kürzlich zu blühen begonnen, die knallgelben Knospen verströmten einen süßlichen Vanilleduft. Stanley bog mit einem Stock ein paar der stacheligen Zweige zur Seite, sodass sie in seine Mitte treten konnten.
»Vielleicht kennen Sie sie ja unter dem Begriff Feenkreis?«
Dara schüttelte den Kopf. »Was hat es denn damit auf sich?«, fragte sie und drehte sich skeptisch im Kreis, als könnte der Zauber, was auch immer er bewirkte, jeden Moment einsetzen.
»Nun, manche Leute glauben, wenn man um Mitternacht dreimal um so einen Ring herumläuft und sich dabei etwas wünscht, geht der Wunsch in Erfüllung.«
»Glauben Sie daran?«, fragte Dara.
Er zögerte. »Na ja, nein, nicht so richtig. Aber mein Vater glaubt daran. Es gab einen Feenring in Tipperary, wo er aufgewachsen ist.«
»Und was hat er sich gewünscht?«
»Etwas für meinen Bruder Neal«, erzählte Stanley. »Neal hatte als Kind achtundzwanzig Warzen an den Händen.«
»Puh, das ist eine ganze Menge.«
»Ganz recht. Dad hat es mit allen Hausmitteln versucht, die man damals so kannte. Sie wissen schon – Kartoffelschalen, Rhabarber, Kuckucksspeichel. Er hat sie sogar mit Schneckenschleim bestrichen.«
Dara schauderte, und Stanley nickte. Er hatte an sich nichts gegen Schnecken, aber er hatte noch nie eine angefasst. Er stellte sich vor, dass sie sich kühl und feucht anfühlten, vielleicht auch gummiartig.
»Nachdem nichts davon geholfen hat, ist Dad eines Tages nach Tipperary gefahren. Dort hat er
Weitere Kostenlose Bücher