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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
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Ihr Ernst?«, flüsterte sie.
    »Nein, keineswegs.« Der Arzt ließ sich auf einem Stuhl nieder und nahm eine Pfeife aus der Brusttasche seines Sakkos. »Er schläft bloß seinen Rausch aus. Schließlich sitzt er schon hier, seit dieser Laden aufgesperrt hat.«
    Dara sah auf die Uhr. »Seit zehn Uhr morgens?« Mittlerweile war es nach zwölf.
    »Seit November 1975«, erwiderte der Arzt und stopfte seine Pfeife mit langen Tabakfäden.
    »Oh.« Mehr fiel Dara dazu nicht ein.
    »James, sei so gut und mach Slither einen Kaffee und ein paar Butterbrote. Und wirf ein paar Würstchen und
etwas Speck für ihn in die Pfanne. Das wird den Alkohol schon aufsaugen.«
    Lauter vernünftig klingende Maßnahmen, wie Dara fand.
    »Na, hör mal, bin ich seine Mami, oder was?«, echauffierte sich James, der Barkeeper, der bereits den Teekessel mit Wasser füllte. Dann bellte er jemanden in der Küche an, er solle sich eine Pfanne schnappen und ans Werk machen.
    »So gut wie, würde ich sagen«, seufzte der Arzt und zog an seiner unangezündeten Pfeife. »Sonst hat er ja niemanden mehr, der arme Kerl.«
    Dara bemerkte, dass die anderen Anwesenden Slither vorsichtig umrundeten oder über ihn drüberstiegen, ihm ansonsten aber nicht mehr Beachtung schenkten, als wenn er ein kaputtes Möbelstück wäre, an das sie sich längst gewohnt hatten, ein wackeliger Tisch oder ein Stuhl mit drei Beinen etwa.
    Sie setzte sich.
    »Kannten Sie Eugene Flood?«, fragte Stanley, der seine Jacke zusammengefaltet und Slither unter den Kopf geschoben hatte.
    »Mit wem hab ich denn die Ehre?«, fragte der Arzt, ohne ihn anzusehen.
    »Das ist ein Freund von mir«, erklärte Dara. »Wir suchen Mr. … meinen Vater.«
    »Was hat er jetzt wieder ausgefressen?«
    »Nichts. Ich habe ihn bloß nie kennengelernt, und ich …«
    »Hab ihn seit Jahren nicht gesehen.« Dr. Mac schüttelte den Kopf, ganz langsam, wegen der Pfeife, die in seinem Mundwinkel hing.
    »Aber Sie kannten ihn, richtig?«, beharrte Dara. »Können Sie uns irgendetwas über ihn sagen?«
    Er seufzte erneut und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Soweit ich mich erinnere, war er ein großer Fan von Frauen, Gerstensaft und Pferderennen, wobei die Reihenfolge variierte … Tut mir leid. Sie haben den langen Weg wohl umsonst auf sich genommen.« Er deutete mit dem Kopf auf Slither, der sich nun seitlich zusammengerollt hatte wie ein Fötus und schnarchte und schnaubte wie eine Dampflok.
    »Hat Eugene hier noch mehr Verwandte?«, erkundigte sich Stanley. »Jemand, der uns bei der Suche weiterhelfen könnte?«
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Er war ein Einzelkind. Seine Eltern sind ziemlich früh gestorben. Bei einem Brand, gleich dort gegenüber.« Er sah aus dem Fenster, und Dara folgte seinem Blick zu einer Fassade auf der anderen Straßenseite, hinter der einmal ein Haus gestanden hatte. »Eugene war damals gerade mal siebzehn und ging auf eine Internatsschule in Cavan. Ein aufgewecktes Bürschchen.«
    Er stand auf und streckte sich, die Arme über den Kopf gereckt. »Tja, ich muss los. Es gibt in dieser Stadt noch ein paar Leutchen, die ernsthaft krank sind und mich wirklich brauchen.« Er beugte sich über Slither, der seine Arzttasche im Arm hielt wie eine Geliebte, und entwand sie ihm mit einer Zärtlichkeit, die Dara rührte.
    »Aber was ist aus ihm geworden?«, fragte Stanley.
    Dr. Mac kratzte sich am Kopf. »Soweit ich mich entsinne, hat er die Schule sausen lassen und den Pub seines Vaters und die darüber liegende Wohnung seiner Eltern für einen Pappenstiel verkauft. Schätze, das Geld war bald weg.«
    Dara fragte nicht wofür. Sie hatte da so einen Verdacht.
    »Und dann hat er denselben Weg eingeschlagen wie die meisten jungen Männer damals«, fuhr der Arzt fort. »Ist aus Bailieborough weggegangen und nie zurückgekommen.«
    Dara überlegte verzweifelt, was sie ihn noch fragen konnte. Es musste doch noch irgendetwas herauszufinden geben, oder jemanden, der ihnen irgendetwas sagen konnte.
    Endlich fiel ihr noch etwas ein. »Was ist mit seinen Eltern? Sind sie hier begraben?«
    »Ja, auf dem Friedhof draußen an der Kells Road. Biddy und Slouch Flood, Gott hab sie selig.« Er bekreuzigte sich.
    »Slouch?«, wiederholte Dara.
    »Wie hieß er noch gleich richtig?« Der Arzt runzelte nachdenklich die Stirn. »Es war irgendwas Ausgefallenes, das nicht zu ihm passte, deshalb haben ihn alle Slouch genannt, wegen seiner schlechten Haltung.« Er klatschte sich mit der Hand auf den Oberschenkel.

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