Wenn ich dich gefunden habe
Ohren etwas nicht in Ordnung ist.«
»Wie kann man das nicht merken, wenn man auf einem Ohr nichts hört? Oder zumindest deutlich weniger«, sagte Dara, fast wie zu sich selbst.
Stanley lachte, obwohl das Thema alles andere als zum Lachen war. »Ich bin so zur Welt gekommen. Für mich war das, was ich gehört habe, normal.«
»Wundert mich, dass es Ihrer Mutter nicht aufgefallen ist.«
»Na ja, sie musste hin und wieder ganz schön laut werden, um sich Gehör zu verschaffen. Ich habe sie immer problemlos verstanden«, erinnerte er sich lächelnd.
»Sie haben es wahrscheinlich kompensiert«, mutmaßte Dara.
»Was meinen Sie?«
»Ich denke da gerade an Reggie, einen Border Collie, der eine Weile bei uns im Asyl war. Er war blind, aber sein Geruchssinn war unschlagbar. Solange Reggie bei uns war, musste Tintin auf seine Eggy-Mix-Sandwiches mit Eier und Zwiebel verzichten, was Anya und mir ganz recht war.«
»Ich gönne mir hin und wieder auch ganz gern ein Eggy-Mix-Sandwich«, bemerkte Stanley.
»Na ja, sie mögen ja ganz okay schmecken, aber der Geruch …«
»Ziemlich übel, stimmt«, räumte Stanley ein und nickte.
Inzwischen hatten sie die Außenbezirke von Dublin erreicht, und die Unterhaltung hatte Dara so weit abgelenkt, dass sie die Kopfstütze des Beifahrersitzes nicht mehr umklammerte.
»Könnten Sie mich beim Hundeasyl absetzen?«, bat sie.
»Natürlich. Soll ich dann dort auf Sie warten und Sie nach Hause fahren?«
»Nein danke, ich hab mein Fahrrad dabei.«
»Aber beim nächsten Regenguss werden Sie klatschnass.«
»Sie klingen wie meine Mutter.« In ihrer Stimme schwang ein Lächeln mit, doch die Enttäuschung des Tages spiegelte sich in ihrem Gesicht und in ihren dunkelblauen Augen. Stanley verfolgte über den Rückspiegel, wie sie
Clouseau sanft an den Ohren zog, ehe sie ausstieg. Er kurbelte das Fenster herunter. »Dara, ich …«
»Ich weiß.«
»Was?«
»Sie können nichts mehr für mich tun.«
Stanley öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu. Vermutlich hatte sie recht. Er hatte von Anfang an gewusst, dass die Chancen gegen null gingen. Die Akte Flood würde sein erster ungelöster Fall werden.
»Ich meine, Sie haben überall gesucht. Er ist nicht tot, er arbeitet nicht, er hat nicht noch einmal geheiratet, er sitzt nicht im Gefängnis, er ist einfach … verschwunden.«
Ihre Resignation traf ihn tief. Stanley wünschte, er könnte noch irgendetwas für sie tun. Er hätte drei Runden um den Feenring gedreht, wenn das etwas genützt hätte.
»Schicken Sie mir Ihre Rechnung.« Dara entnahm ihrem Rucksack Notizblock und Stift, schrieb ihm ihre Wohn- und E-Mail-Adresse auf und reichte ihm den Zettel durch das offene Fenster. Ihre kleinen rosa Fingernägel waren sorgfältig alle auf dieselbe Länge abgekaut. Sie roch nach Kaffee und Clouseau.
»Viel wird es nicht sein, nachdem ich das Hundetraining abgezogen habe.«
»Vergessen Sie das Training.« Dara richtete sich auf. »Das war gar nichts. Hat Spaß gemacht.« Sie spähte lächelnd zu Clouseau, der die Schnauze zwischen den Vorderpfoten abgelegt hatte und leise schnarchte.
»Tja, dann … Auf Wiedersehen.« Dara streckte Stanley die Hand hin. »Und danke.«
»Wofür? Ich habe doch nichts herausgefunden.«
»Sie haben getan, was Sie konnten.«
»Vielleicht melde ich mich nochmal bei Ihnen … Falls ich nochmal Hilfe mit Clouseau brauche …«
»Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das nötig sein wird. Es läuft doch schon viel besser, nicht?« Sie griff nach ihrem Rucksack und schulterte ihn.
Stanley nickte. Tatsächlich war Clouseau inzwischen dazu übergegangen, bei jeder Gelegenheit wildfremden Menschen Pfötchen zu geben, als wäre er der wohlerzogenste Hund der Welt. Und das nach einer einzigen Trainingssession mit Dara Flood. Nun, genau das waren seine Ziele gewesen. Weniger an Cora denken und ein Hund, der ihn nicht ständig mit seiner Zuneigung erstickte. Das war gut. Ein Fortschritt.
»Aber Sie können mich anrufen, wenn Sie Fragen haben oder Rat brauchen«, sagte Dara, wohl, weil sie seine Niedergeschlagenheit fälschlicherweise als Zweifel an der wundersamen Verwandlung seines Hundes interpretierte. »Meine Nummer haben Sie noch, oder?«
Stanley nickte und ließ den Motor an.
»Passen Sie auf sich auf«, rief er ihr noch zu. »Und es tut mir leid, dass wir nicht mehr erreicht haben.«
»Keine Sorge, ich hatte mir nicht allzu viel erwartet.«
Sie lächelte, als sie das sagte, aber ihre Worte
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