Wenn ich dich gefunden habe
»Walter! Das ist es. Walter Flood.«
Walter? Dara hatte weiß Gott schon ausgefallenere Namen gehört. Walter und Biddy – Bridget? – Flood also. Es war nicht viel, aber immerhin etwas.
»Sieh zu, dass Slither etwas isst, und dann fahr ihn nach Hause«, befahl der Arzt dem Barkeeper. »Und gib ihm keinen Alkohol mehr, klar? Jedenfalls heute nicht mehr.«
»Aye, und soll ich ihn ins Bettchen stecken und ihm eine Gutenachtgeschichte vorlesen, wenn ich schon dabei bin?«
»Was du in deiner Freizeit tust, ist dir überlassen, Jamesie Cullivan«, sagte der Arzt und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken in Richtung Stanley und einem warmherzigen Lächeln in Richtung Dara.
»Stanley, ich gehe nur kurz raus, eine Zigarette rauchen, okay? Bin gleich wieder da«, sagte Dara. Sie deutete auf Slither. »Könnten Sie ein Auge auf ihn haben?«
»Mach ich.« Stanley betrachtete den schlafenden Alten mit der unglücklichen Miene eines Mannes, der die Arschkarte gezogen hat.
Wieder dauerte es eine Weile, bis sich Daras Augen an ihre Umgebung gewöhnt hatten. Sie überquerte die Straße, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie suchte und wusste, sie würde es dort nicht finden, was auch immer es war.
Sie spähte durch die uralten, durchhängenden Stores. Das Gebäude war leer und total verfallen, die hinteren Wände waren entweder eingerissen worden oder eingestürzt. Dara konnte geradewegs bis in einen winzig kleinen Garten dahinter sehen. Wucherndes Unkraut, zerbrochene Holzpaletten und dazwischen eine Ziege, die sich auf zierlichen Hufen einen Weg durch den Schutt bahnte.
Dara drehte sich um und testete vorsichtshalber erst, wie stabil das Fensterbrett war, ehe sie sich daranlehnte. Während sie ihre Zigarette rauchte, blieb gleich dreimal jemand stehen und sagte ihr auf den Kopf zu, dass sie Eugene Floods Tochter war. Frustrierenderweise war das das Einzige, was sie bereits wusste. Zu ihm selbst oder seinem Verbleib konnte ihr keiner etwas Brauchbares verraten.
28
Auf der Rückfahrt war die Stimmung ziemlich gedämpft. Am Vormittag war das Wetter noch vielversprechend schön gewesen, jetzt war der Himmel grau, und es blies ein kühler Wind. Noch regnete es nicht, aber lange würde es nicht mehr dauern.
Und Dara? Stanley hatte sich von der Fahrt nach Bailieborough nicht allzu viel erwartet, aber er spürte, wie enttäuscht sie war, obwohl sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Als er vorschlug, das Grab ihrer Großeltern zu besuchen, ehe sie zurückfuhren, zögerte Dara erst, doch dann nickte sie, also hielt er am Friedhof an.
Biddy und Slouch waren zusammen beerdigt. Ihr Grab hatte sich in der Mitte abgesenkt und erinnerte ein bisschen an ihr Haus – vernachlässigt und von Unkraut überwuchert.
In lieber Erinnerung an Bridget und Walter Flood
geboren am 23. Mai 1924
gestorben am 20. Dezember 1966
»Das ist ja seltsam«, sagte Stanley zu Dara, die sich auf die steinerne Umrandung gesetzt hatte, um zu rauchen.
»Was?« Sie drehte sich zu ihm um.
»Ihre Großeltern sind nicht nur am selben Tag gestorben, sondern auch am selben Tag zur Welt gekommen.«
»Richtig.« Dara hob einen Stock auf und warf ihn für Clouseau.
»Und Ihr Vater hat sie geliebt«, fügte Stanley hinzu, um etwas Positives zu sagen und Dara ein Lächeln abzuringen.
Sie hob eine Augenbraue. »Wie kommen Sie darauf?«
»In lieber Erinnerung«, rezitierte er mit einem Blick auf den Grabstein.
»Das steht doch auf allen Gräbern, nicht?«
»Sie sind kurz vor Weihnachten gestorben«, fuhr Stanley fort. Er konnte offenbar gar nicht mehr aufhören zu reden. »Muss schrecklich für Ihren Vater gewesen sein, mit siebzehn. Er war praktisch noch ein Kind.«
Dara rappelte sich auf. »Clouseau erledigt gerade dort hinter Bat Reillys Grab sein Geschäft.« Sie drückte die Zigarette mit dem Absatz ihrer Doc Martens aus, verstaute den Stummel in ihrer Plastikdose und steckte die Dose in die Hosentasche. »Haben Sie eine Tüte dabei?«
»Ich mach das schon«, wehrte Stanley ab, aber Dara ließ sich nicht abhalten. Kurz darauf machten sie sich wieder auf den Weg.
Was jedoch wirklich seltsam war, und was sie beide nicht kommentiert hatten, war das, was unter den Namen ihrer Großeltern auf dem Grabstein gestanden hatte:
Eugene Francis Flood
geboren am 1. November 1949
gestorben ______________
Auf dem Weg zum Wagen schauderte Stanley, als hätte er dort seinen Namen gelesen. Die leere Zeile daneben hatte gewirkt, als würde sie
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