Wenn ich dich gefunden habe
weiteres in der Lage, mit bloßen Händen eine Eiche auszureißen. Obwohl Stanley nicht allein war – in einer Ecke der Zelle saß eine Gefängniswärterin, die eine Ausgabe der Zeitschrift OK! las –, musste er sich eingestehen, dass er Angst hatte. Es lag an der schieren Länge und Breite seines Gegenübers. Groß war ein viel zu kleines Wort für Con King. Und dann war da noch sein Gesicht – krebsrot, als hätte er sich mit Pommesfett eingeschmiert und sich mittags in der Sahara gesonnt. Sein voller, schlohweißer Haarschopf bildete einen krassen farblichen Kontrast dazu und wollte auch so gar nicht zu den buschigen dunklen Augenbrauen passen, die sich wie Minimarkisen über seinen Augen wölbten. Die Augen selbst, zwei winzige blassblaue Schlitze, gingen in dem feuerroten Mondgesicht vollkommen unter.
»Cormac hat gesagt, Sie wollen mit mir reden.« Stanley nahm an – und da lag er völlig richtig – dass Con im Laufe der Jahre mehrfach an seiner Stimme verzweifelt war, denn sie klang hoch und dünn und fast schon niedlich, wie das Piepsen einer Maus. Es war nicht die Stimme, die man bei einem solchen Koloss erwartet hätte, noch dazu, wenn es sich dabei um einen gewissenlosen Kriminellen und gnadenlosen Schuldeneintreiber handelte, der dafür bekannt war, dass er gern mit einem Fünfereisen auf seine Opfer losging. Con war ein passionierter Golfer mit einem Hang
zur Gewalttätigkeit – eine fatale Kombination. Doch Stanley versuchte, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, so schwer es ihm auch fiel.
»Äh, genau. Ich bin Cormacs Bruder Stanley. Stanley Flinter.«
»Sind Sie auch so ein verfluchter Bulle?«, fragte Con, dann drehte er sich ängstlich zu der Wachhabenden in der Ecke um und quiekte: »Nichts für ungut, Rosie.«
Sie nickte, ohne von ihrer Zeitschrift aufzublicken.
»Äh, nein, bin ich nicht.« Stanley beschloss, lieber nicht zu erwähnen, dass er Privatdetektiv war.
»Na dann.« Con lehnte sich zurück und betrachtete ihn prüfend. »Cormac meinte, Sie wollen mich etwas fragen.«
Stanley rutschte auf seinem Stuhl herum. Er fühlte sich unter Cons Blick äußerst unwohl in seiner Haut. »So ist es.«
»Schießen Sie los, Kumpel. Ich beiße nicht.« Con verschränkte die riesigen Hände hinter dem Kopf. »Jedenfalls nicht oft«, fügte er hinzu und grinste, sodass seine Augen vollends in der roten Landschaft seines Gesichts verschwanden.
Stanley räusperte sich. »Ich suche Eugene Flood.«
»Dieses Schwein!« Con sprang auf und ließ die Faust auf den Tisch donnern, der übrigens auf dem Boden angeschraubt war. Stanley hatte sich davon überzeugt, ehe er sich hingesetzt hatte.
Rosie spähte über den Rand ihrer Zeitschrift. »Con?«
Sogleich setzte sich Con wieder hin und lächelte sie an. »Tut mir leid, Rosie.«
»Kein Problem, Con.« Sie nickte erneut und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre.
»Ich wäre völlig aufgeschmissen ohne mein Antiaggressionstraining«,
erklärte Con, zu Stanley gewandt. »Es wirkt wahre Wunder.«
Stanley nickte. Er wollte gar nicht wissen, wie Con King gewesen war, bevor er mit diesem Training angefangen hatte. »Also, Mr. King, ich weiß, dass Sie Eugene Floods Schulden gekauft haben, und zwar von Benny Byrne, richtig?«
Bei der Erwähnung von Byrnes Namen ließ Con den Kopf auf die breite Brust sinken und bekreuzigte sich. »Ja, ein paar Tage vor seinem Tod. Er kam zu früh, müssen Sie wissen. Der Bus, meine ich. Hat Benny völlig überrumpelt. Gott hab ihn selig.«
»Wie viel schuldete Ihnen … der Mann?« Stanley wollte den Namen Flood nicht noch einmal aussprechen, nachdem sich Con gerade wieder beruhigt hatte.
Con ballte die Fäuste. Er atmete ein, atmete wieder aus, so kräftig wie eine Windbö. Sein Atem roch nach einer scharfen Zahnpasta. Euthymol vielleicht. »Sechstausend«, sagte er. »Und zwar Pfund, nicht diese Euroscheiße.«
Stanley nickte. Das war damals eine Menge Geld gewesen. Ein kleines Vermögen. Und doch schien es eine läppische Summe, verglichen mit all dem, was sie angerichtet hatte.
Con King schien zu wissen, was in Stanleys Kopf vorging. »Hätte nie gedacht, dass er sich dünnmachen würde.« Er schüttelte den Kopf. »Männer, die so eine Frau haben, hauen nicht einfach ab. Und dann seine Kleine mit den blonden Haaren … Ein richtiges Engelchen.« Einen Augenblick lang schien es, als hätte Con Rosie und seinen Besucher völlig vergessen. Als gäbe es nur noch ihn selbst und seine Erinnerungen.
Weitere Kostenlose Bücher