Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
schwarzen Wolken versprechen nichts Gutes.« Wir schaffen es gerade noch, die Außentaschen abzunehmen, dann geht ein Wolkenbruch nieder, wie es Denver höchstens alle zwei- bis dreitausend Jahre einmal erlebt. Wir drohen fortgerissen und bis nach Ontario hinauf geschwemmt zu werden. Die Wolken hatten uns in die Falle gelockt. Bloß schnell ins Hotel. Bis es vorbei ist, vergeht eine volle Stunde, aber wir sitzen gemütlich im Trockenen.
Den ganzen Vormittag sind wir unbeirrt gerade Straßen entlanggefahren. Schon gleich nach der Abreise lauerte der Regen hinter jeder Ecke: Wir haben Blitze gesehen, Donner gehört, aber stets ein Stück weit weg, am Rande der Kraftfelder. Rechts und links vor uns schüttete der Himmel Gießkannen aus, um die Beete zu wässern, aber wir blieben trocken, als würde uns eine Satellitenkarte den Schönwetterweg weisen.
Wir haben scheinbar unendliche Halbwüsten durchquert. Vereinzelte Gebäude da und dort, rote Erde, so weit das Auge reichte, spärliche Vegetation, uralte Sträucher, die sich mit dem bisschen Nahrung zufriedengeben, das es gibt. Die grünen Tupfer sind eine Erholung fürs Auge.
Auf einer Anhöhe sahen wir die Straße über mindestens zehn Kilometer vor uns liegen, eindrucksvoll, leicht wellig, inmitten einer unendlich weiten Landschaft mit bizarren rötlichen Felskuppen, die den Horizont durchbrachen. Ich habe angehalten und die Füße auf die Erde gestellt, Andrea ist sitzen geblieben. Als ich zurückblickte, wurde ich auf einmal des ganzen Antriebs gewahr, der uns bis hierher geführt hat, nach Übersee. Mit Andrea zusammen zu sein führt mich in die Ferne.
»Woher kommen wir, Andre?«
»Von da hinten, Papa.«
Andrea ist eine Lebensreise. Er hat uns bei der Olympiade für den Weitsprung vom Problem bis zur Lösung angemeldet. Viele Medaillen haben wir nicht gewonnen, doch zumindest haben wir uns weder von Trauer und Resignation überwältigen noch vom Gewicht der Schwierigkeiten erdrücken lassen. In Bewegung bleiben ist alles, auch wenn man sich vielleicht nur etwas vormacht.
Die Flaniermeile von Denver ist voller Leben: Wir lassen uns treiben in diesem schäumenden Fluss, die Strömung zieht uns fort, stößt uns hierhin und dorthin und setzt uns schließlich vor dem Coyote Ugly ab.
Andre, da ist das Coyote. Ungläubig zeige ich mit dem Finger darauf.
»Ja, Papa, Coyote schön«, erwidert er, als handelte es sich um einen Laden zu Hause um die Ecke, während er schon auf den Eingang zustürmt. Zweifellos erkennt er jedes Detail, das er im Film gesehen hat, und vor allem auch die Neonleuchtschrift. Ein kolossaler Rausschmeißer stellt sich ihm schroff in den Weg.
»Coyote Ugly!« Mit Nachdruck betont Andrea jede Silbe, aber offenbar ist dies nicht das Zauberwort, das die Geheimtür zum Lokal öffnet. Der Rausschmeißer macht einen Schritt vorwärts und schiebt Andrea mit seinem Gewicht auf den Gehsteig. Natürlich ist das Lokal für Jugendliche unter einundzwanzig verboten. Andrea hat schon das Interesse an der Eingangstür verloren und mustert den Rausschmeißer von allen Seiten.
Ich nehme ihn am Arm.
»Andre, jetzt bin ich neugierig. Ich gehe rein und mache ein paar Fotos. Was meinst du dazu?«
»Foto, Papa.«
»Okay«, sage ich, »der Junge bleibt hier, ich werfe nur kurz einen Blick rein, um zu sehen, ob alles genauso ist wie im Film. Wir lassen uns nicht reinlegen, oder, Andre?« Der Rausschmeißer zuckt die Achseln, während Andrea um ihn herumstreicht, ihn plötzlich packt und seine Muskeln betastet. Der Mann lacht schallend, stellt sich in Superman-Pose und sagt zu mir, er werde gern auf den Jungen aufpassen, solange es sich nur um einen kurzen Blick handele. Gimme five – wir klatschen unsere flachen Hände aneinander.
Auf den Kerl kann ich mich verlassen, ihm könnte man zehn Züge der Denver & Rio Grande Western Railroad gleichzeitig anvertrauen. Ich betrete das Lokal: ein moderner amerikanischer Saloon, wo es abends bei Musik und Schnaps hoch hergehen muss. Schon jetzt ist es überfüllt. An den langen Theken werfen schöne Mädchen einem Gläser zu, die man im Flug auffangen muss. Oder sie steigen auf den Tresen und gießen den Gästen den Tequila aus den Flaschen direkt in den Mund. Ich genehmige mir einen doppelten Whiskey und würde gern noch ein bisschen bleiben, doch ich fürchte, dass der Rausschmeißer Andrea plattmacht, falls ihm der Geduldsfaden reißt. Schweren Herzens gehe ich, verabschiede mich von einigen hübschen Gesichtern
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