Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
der Menschen zu erleichtern.
»Was, die Seele erleichtern?«
»Joana macht die Gedanken heller, lindert die Sorgen. Das ist ihr Beruf hier…«
»Ist sie Psychologin?«
»Psychologin?« Dea lacht herzlich. »Sie erleichtert die Seele: mit den Händen, mit Schweigen, mit Wasser…«
Beim Abendessen mischen sich unsere Reiseberichte mit den brasilianischen Erinnerungen der anderen, und Joana zieht uns in ihren Bann, indem sie das Leben auf den Straßen in Indien schildert, die Farben des Himmels über Tibet, eine dunkle Grotte im Bauch von Java. Als junge Frau sei sie viel herumgekommen, »und als junge Frau«, sagt sie wehmütig, »ist meine Tochter fortgelaufen. Auch das ist ein Weg«, fügt sie hinzu und erzählt gleich darauf lebhaft von Roxana, der Tochter ihrer Tochter, die sie aufgezogen hat wie eine Mutter.
Einer der Männer, Nazario, fragt, ob wir möchten, dass er in unsere Zukunft schaut, und ich vermute, dass er gleich die Karten hervorholt, sehe aber, dass eine gewisse Bewegung entsteht. Nazario rückt die Stühle weg, öffnet eine Schublade und zieht ein Bündel graue Metallbänder heraus. Er stöbert unter dem Spülbecken, bis er eins von diesen Werkzeugen findet, mit denen man Metall zum Schmelzen bringen und kleine Lötarbeiten ausführen kann.
»Blei«, sagt er, indem er auf die Metallstreifen zeigt und erst mich, dann Andrea einen aussuchen lässt.
Er hält das Blei mit einer großen Holzklammer, während ein anderer es mit der Flamme erhitzt. Eine Frau bringt eine Schüssel voll Wasser. Nazario fängt das geschmolzene Metall mit einer Tasse auf, die er halb gekippt hält, so dass es in die Schüssel gleitet. Bei der Berührung mit dem Wasser wird das Blei wieder fest: Mein Streifen verwandelt sich in einen langen gewundenen Faden und einige kleine flache Fladen mit gezackten Rändern.
»Jetzt gieße ich das Blei für Andrea«, sagt Nazario.
Ich sehe, dass er im Vergleich zu vorher den Abstand verändert und dass eine größere Menge Blei in die Schüssel tropft. Im Wasser bildet sich fast so etwas wie eine Blume und noch eine zweite Form, die an eine geöffnete Hand erinnert.
Joana nimmt meine Bleifiguren, betrachtet sie und sagt: »Alles gut«, doch sie scheint es eilig zu haben, Andreas Gebilde zu studieren. Sie sieht ihn an und streichelt ihn.
»Wohin wollt ihr als Nächstes fahren?«, fragt die Frau plötzlich.
»Ehrlich gesagt, weiß ich es noch nicht.«
Da mischt sich Dea ein und sagt, sie arbeite in einem Reisebüro, wir sollten doch am nächsten Tag bei ihr vorbeikommen. Sie überreicht mir eine Visitenkarte und verspricht, ein interessantes Ziel für uns zu finden.
Mal sehen, mal sehen…
Wir verabschieden uns herzlich. Joana und Nazario bringen uns im Auto zurück ins Hotel.
Zum ersten Mal schläft Andrea auf der Fahrt ein, und ich muss ihn beinahe ins Bett tragen.
Roxana
Das Läuten des Telefons reißt mich aus dem Schlaf.
»Am Empfang fragt eine Dame nach uns«, sage ich zu Andrea, der mich mit großen Augen anschaut und gähnt.
»Ich gehe hinunter, mach du dich inzwischen fertig und putz dir die Zähne, ich bin gleich wieder da.«
Es ist Joana.
Sie grüßt mich nicht einmal: »Wo ist der menino ?«
»Andrea ist im Zimmer.«
»Ich bin die ganze Nacht wach gelegen und habe nachgedacht. Ich muss ihm einen Brief anvertrauen.«
»Einen Brief? An wen denn?«
»Ich erkläre dir alles, aber vorher lass mich mit ihm sprechen.«
»Sprechen? Du hast doch gesehen, wie schwierig das ist.«
»Er wird mich verstehen.«
»Joana, wir brauchen nicht noch mehr Komplikationen.«
»Ich habe dir gesagt, dass ich lange darüber nachgedacht habe, vertrau mir.«
Ich betrachte sie, gefährlich wirkt sie nicht, eher ein bisschen verrückt, aber wie oft wurden auch Andrea und ich schon für verrückt gehalten?
Und außerdem kann ich immer noch nein sagen.
»Ich hole ihn. Warte hier.«
Als Andrea sie sieht, umarmt er sie, und sie streichelt lange seine Haare, murmelt leise Worte, kaum ein Hauch. Ich frage sie, ob alles in Ordnung sei, und sie antwortet, dass der menino weiß, wie man mit den Lebenden spricht.
Ich reiße die Augen auf, denn ich verstehe nicht, worauf sie hinauswill, die spinnt aber wirklich, denke ich.
»Er spricht nicht mit den Toten… Es bringt kein Glück, mit den Toten zu sprechen, man muss mit den Lebenden kommunizieren«, fügt sie noch hinzu.
Ich bin unruhig, erwidere, dass es wahr ist, dass Andrea nicht herumredet, sondern kommuniziert.
»Nicht mit
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