Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
weh getan, ihn so zu sehen?«
Andreas Augen sind weit offen, unstet, er bewegt sich schnell. Ich komme mir ihm gegenüber töricht vor, unfähig, hinter die Kulissen zu blicken. Als ginge er über den Schein hinaus und ich nicht.
Jorge glücklich.
Ich trage die Frühstückstassen zur Theke zurück. Ich sehne mich nach einer Atempause und wünsche mir nur, ohne weitere Erschütterungen bis Panama City zu kommen.
Gemächlich zuckeln wir die Panamericana entlang und hören die Lokalsender, weil wir die Stimmung mitkriegen wollen. Wenn es uns irgendwo gefällt, halten wir an, um etwas zu trinken. Ich kann es kaum erwarten, den Panamakanal zu sehen, der mich von klein auf fasziniert hat. An diesem Einschnitt, der Mittelamerika von Südamerika trennt, vermischen sich zwei Ozeane, Gold und Silber, Glück und Unglück für so viele Menschen. Ein Nabel der Welt.
Während wir ewig lange zwischen zwei Felswänden dahinfahren, erzähle ich Andrea diese Dinge. Auf einmal kommen wir auf einer Brücke heraus, und ich versuche mich mit dem Blick zu orientieren. Ich dachte, wir seien noch weit weg, dabei sind wir schon da, wir sind auf der Puente de las Americas. Vor Aufregung gerate ich kurz ins Schleudern, während Andrea mit dem Finger auf die Schiffe zeigt, die auf die Durchfahrt warten.
In Panama-Stadt, das uns monumental und dekadent erscheint, parken wir und schlendern auf der Suche nach einem Restaurant in eine der netteren Straßen hinein. Neugierig betrachten wir die Schaufenster, die Menschenmenge verdichtet sich und lichtet sich wieder, wie Zugvogelschwärme.
Andrea bleibt vor einem Geschäft mit T-Shirts stehen, ich gehe noch ein paar Schritte weiter, frage einen Verkäufer, wo man in hier am besten isst, der junge Mann freut sich sichtlich, behilflich sein zu können, er zählt mir eine endlos lange Liste von Restaurants auf, empfiehlt mir verschiedene Gerichte – ich drehe mich um, und Andrea ist verschwunden. In der Hoffnung, ihn in dem T-Shirt-Laden zu finden, kehre ich um. Aber da ist er nicht. Auch rundherum sehe ich ihn nirgends.
Immer mit der Ruhe, ich habe ja das Gummiband, daran denke ich: Wir haben das Gummiband, ich weiß, was Andrea lockt. Ich versuche, mich in ihn hineinzuversetzen: Wahrscheinlich hat er mich nicht gesehen, ist zurückgegangen oder hat unvermittelt die Straße überquert, um dort den Bürgersteig entlangzugehen. Ich laufe von Laden zu Laden, schaue überall nach. Es ist, wie ich dachte: Eine Händlerin bestätigt mir, dass vor wenigen Minuten ein seltsamer Chico hereingekommen und sofort wieder verschwunden ist. Zieh an dem Gummiband, zieh an dem Gummiband!
Dreißig Meter weiter kommt links eine Querstraße, da gibt es auch noch Läden mit auffälligen Schildern, einer ist voll mit Vogelkäfigen und Aquarien. Sie schließen gerade, ja, sagen sie, ein Junge hat kurz hereingeschaut. Er ist in der Nähe, ich spüre es.
Da taucht er am Ende der Straße auf, Hand in Hand mit einer Frau, als kennte er sie schon seit je.
»Papa im Auge behalten!«, schreie ich.
»Der menino hat Hunger«, ruft die Frau.
»Papa im Auge behalten! Andrea, erinnerst du dich an das Gummiband?«
»Gummiband…«
»Der menino hat Hunger!«
Schon gut, jetzt gehen wir essen. Die Frau mustert uns, entspannt sich, sagt, sie heiße Joana und sei Brasilianerin. Ich entspanne mich ebenfalls.
»Mögt ihr Fleisch vom Grill?«
»Warum?«
»Kommt mit, es gibt ein brasilianisches Abendessen, ihr seid meine Gäste.«
»Andrea, du heißt doch Andrea, stimmt’s? Möchtest du ein bisschen richtig gutes Fleisch essen?«
»Er versteht kein Portugiesisch. Andre, gehen wir Fleisch essen?«
»Fleisch ja…«
Okay, also los.
Ich gehe hinter ihnen her, denn die Frau hat sich fest bei Andrea eingehakt, streichelt ihm übers Haar und spricht leise mit ihm. Ab und zu schaut Andrea mich stirnrunzelnd an, aber er zieht den Arm nicht weg. Vor einem kleinen gelben Haus bleiben wir stehen. Sie klingelt, lässt uns eintreten, stellt uns mehreren Personen vor, alle aus Brasilien, zwei jungen Frauen und vier in der Küche hantierenden Männern. Joana ist eine Frau mit starker Ausstrahlung, ihre Bewegungen und ihre Worte haben Gewicht.
Niemand fragt, warum wir hier sind, sie hat uns mitgebracht, das genügt. Ich versuche, Dea, einer der beiden Frauen, die Situation zu erklären, erzähle ihr von unserer Reise und auch etwas über Andrea. »Ach, deshalb seid ihr hier!«, ruft sie und fügt hinzu, Joana besitze die Gabe, die Seele
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