Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)
es nicht Wert gerettet zu werden …!“ Der Sensat atmete schwer und wirkte das erste Mal nicht mehr so unnahbar wie zuvor.
„Das erste Kluge, das ich aus deinem Mund höre“, meldete sich Jonathan zu Wort. „Wenigstens bist du Manns genug, der Wahrheit ins Auge zu sehen.“
Abrupt ließ Nikolaj Gwens Hand los. Ein wenig so, als ob er erst jetzt bemerkt hätte, dass ihre Haut ihn verbrannte.
***
Ein lautes Schweigen hing in der Luft, das alle vier gewähren ließen. Nicht, weil es nichts zu sagen gab, sondern weil es zu viel aus unterschiedlichen Positionen heraus zu sagen gab. Der Kelch des ersten Wortes ging an Nikolaj. Mit dunkler, beherrschter Stimme fragte er: „Wie habt ihr euch das Ganze vorgestellt? Wie kriegt ihr raus, was genau Gwen tun soll? Ruft ihr kurz bei eurer Hexengöttin an? Hat sie eine Durchwahl? Wie sieht euer Plan aus?“
„Wie genau sieht denn deiner aus?“, blaffte Jonathan zurück. „Du hast gesagt, du wärst hier um Gwen zu beschützen und diesen Merkas aus dem Weg zu räumen. Wie hast du dir das vorgestellt? Nimmst du sie an die eine Hand und mit der anderen drehst du ihm den Hals um?“
„Das hier bringt uns kein Stück weiter“, ermahnte Marah alle beide in lautem Tonfall. „Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wichtig ist und damit langsam mal weiterkommen. Ich denke, es wäre das Beste, wenn wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben, ehe du hier aufgetaucht bist.“ Sie sah kurz in die Runde und als niemand sie unterbrach, fuhr sie fort. „Nach dem Schutzzauber wollte ich mich mit Gwen zurückziehen und an ihrer inneren und äußeren Verfassung arbeiten. Außerdem werden wir gemeinsam versuchen mit Hekate in Kontakt zu treten, um zu erfahren, was genau sie von Gwen erwartet.“
„Wer sagt überhaupt, dass sie wirklich eine Hexe ist?“, fragte Nikolaj skeptisch. „Wer sagt, dass es wirklich stimmt, dass sie adoptiert wurde? Wer sagt, dass …“
„Ich bin hier!“, platzte Gwen zu ihrer eigenen Überraschung heraus, weil sie es einfach nicht länger aushielt. Alle Anspannung, Müdigkeit, Aufgewühltheit und Verletzlichkeit schossen in einer gebündelten und geballten Ladung nach oben und ließen sie beinahe bersten. „Ich bin anwesend! Könntet ihr bitte damit aufhören, so zu reden, als wäre ich nicht hier? Oder als müsstet ihr euch mit Worten duellieren?“ Sie atmete schwer. Weder war sie in bester körperlicher noch in bester emotionaler Verfassung. So sehr sie sich auch bemühte, sie schob es doch nur von sich, anstatt es hinter sich zu lassen. Aber wie ein rohes Ei behandelt zu werden machte es nur noch schlimmer. „Ich will irgendetwas tun – jetzt sofort. Ich … ich will nicht darauf warten, dass etwas passiert. Ich will irgendetwas tun können, mich wehren können – wissen, was zu tun ist, wenn es so weit ist. Ich habe Angst, aber die wird nicht besser, wenn ich mich weiterhin so hilflos fühle, wie ich es derzeit tue. Ich will irgendetwas tun …“
Alle sahen sie an. Eine Mischung aus Verlegenheit, Verständnis und Mitleid lag auf ihren Zügen. Nikolajs Auge zuckte und er öffnete langsam den Mund, um etwas zu sagen, doch Jonathan kam ihm zuvor. „Ich schlage vor, Marah und du macht euch an die Arbeit. Tut, was immer … was auch immer ihr eben tun müsst. Ich behalte in der Zwischenzeit
euren Gast
im Auge.“
„Ja, ich glaube auch, das ist am Besten“, erwiderte Marah. „Wir werden nach draußen gehen, weil wir so mit der Erde arbeiten können. Ich denke, das ist für den Anfang nicht schlecht …“ Sie grübelte vor sich hin, als müsse sie in null Komma nichts ein Konzept für eine Unterrichtsstunde – oder einen Schultag – erstellen. Nach einem Blick auf aus dem Fenster fügte sie an: „Nicht mehr lange und es wird dunkel. Wir sollten daher wirklich nicht mehr Trödeln.“
Jonathan nickte. „Alles klar.“
„Vielleicht solltest du dir noch eine Jacke holen. Später wird es bestimmt kühler und jetzt können wir sie als Sitzunterlage verwenden.“
Erleichtert nickte sie und tat einen tiefen Atemzug. Etwas zu tun zu haben, war jetzt genau das, was sie brauchte. Vor allem, nachdem Nikolaj hier aufgetaucht war. Seine Anwesenheit war eine enorme Herausforderung, von der sie nicht sagen konnte, was genau sie von ihr forderte. Es war unangenehm, weil eine Kluft zwischen ihnen lag, die bei jeder Bewegung, jedem Wort, noch deutlicher zur Geltung kam. Sie konnte ihn nicht ansehen, ohne dass sie all das sah, was er gesagt und
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