Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
da bist. Und am besten geht das, wenn du irgendeinen eindeutig zweideutigen Müll redest und danach dreckig lachst.Dann verdrehen sie genervt die Augen und du bist megastolz auf dich.
Mit sechzehn schlägt dann plötzlich ein Blitz ein und du bist verliebt. Von einem Tag auf den anderen. Rettungslos. Du findest sie süß. Du machst freiwillig alles, was sie will, und fühlst dich dabei auch noch gut. Und wenn du ganz viel Glück hast, verliebt sie sich auch in dich und du darfst sie endlich küssen.
Tja, wie es weitergeht, weiß ich noch nicht. Ich bin noch dran, das herauszufinden. Aber ab jetzt wird es kompliziert, das habe ich schon festgestellt.
Ich mach’s mal an einem Beispiel fest: Übermorgen haben wir unseren Abschlussball. Alles total nach Knigge, Manieren und so. Ich werde einen Anzug und eine Krawatte tragen. Sie wird sich die Haare hochstecken und ein vermutlich atemberaubendes Kleid anziehen. Vor dem Ball werde ich sie dann mit dem Auto abholen, mein Vater spielt den Chauffeur. Und dann schenke ich ihr Blumen. Ich halte ihr die Tür auf und reiche ihr beim Aussteigen den Arm. Wir werden also so tun, als wären wir schon erwachsen. Einen Abend lang.
Das sind wir aber nicht. Wir sind nicht erwachsen. Wir sind irgendwie Zwischenwesen.
Zu Hause wohnen wir in Räumen, die unsere Eltern immer noch als Kinderzimmer bezeichnen und an deren Türen sie oft nicht klopfen, wenn sie eintreten. Wir trotten jeden Morgen in die Schule, werden dort geduzt und behandelt wie Zehnjährige. Und wenn wir direkt sagen, was wir denken, gelten wir als frech und werden bestraft. Dass wir älter werden, merken wir nur daran, dass die Probleme der Erwachsenen immer mehr auch unsere Probleme werden. Früher hat mansie uns verheimlicht. Geldsorgen, Ärger im Beruf, Krankheiten und Ehestreit, das war nichts für Kinder, das bekam man, wenn überhaupt, nur so nebenher mit. Jetzt erzählen sie uns das. Dauernd. Als hätten wir keine eigenen Probleme. Wir sollen lernen: Das Leben ist kein Wunschkonzert, kein Zuckerschlecken und kein Ponyhof. Ob wir wollen oder nicht. Dabei wissen wir das längst, wir haben ja selbst Probleme, wir kennen Geldsorgen, haben Krankheiten, streiten uns und haben Stress in der Schule.
So richtig wir selbst sind wir nur in der Nacht. Da denken wir nicht darüber nach, was wir tun, wir tun es einfach. Nachts feiern wir Partys, wir telefonieren, chatten, surfen im Internet, wir besuchen uns und wir ziehen durch die Straßen.
Und über diese Nächte sprechen wir nicht. Zu niemandem. Auch nicht zu Leuten in hundert Jahren.
Sorry, Leute!
Tom
Samstag, 9. Juli
Aus Lilias Lexikon der Liebeswörter (LLL):
Kirsch, Lilia: Entdeckerin der » Surround-Gefühle. Kirsch erkannte als Erste, dass es nicht nur in der Klangwelt, sondern auch im menschlichen Gefühlsleben eine Einteilung in Mono, Stereo und Surround gibt. Mono-Gefühle sind Kirschs Forschungen zufolge eindimensional und können mit einfachen Mitteln erzeugt werden, etwa durch Kitsch (Roman, Film etc.). Stereo-Gefühle sind eine Art Gefühlsakkord, also ein Gemisch unterschiedlichster Gefühle. Sie entstehen z. B. beim Genuss guter Bücher oder guter Filme, manchmal auch im Alltag. Surround-Gefühle aber, also Gefühle für alle Sinne, gibt es nur im wahren Leben. Sie werden in der Maßeinheit » TOM gemessen.
9.00 Uhr Gähn!!! Bin schon wach. Dabei ist es gestern auf dem Ball echt spät geworden. Aber so ist das ja oft: Wenn man richtig spät ins Bett geht, ist man meistens früh wach. (Und noch so eine Merkwürdigkeit, die man eigentlich mal erforschen sollte: Wenn man abends richtig viel isst, hat man morgens Hunger. Aber wahrscheinlich ist das schon längst erforscht.)
Ja, man merkt es, ich bin wieder mal ganz im Bann der Wissenschaft. Bei meinem Forschungsprojekt mit dem Titel »Lilias Leben« habe ich gestern auf dem Ball nämlich ganz plötzlich und unerwartet die Surround-Gefühle entdeckt. Das sind Gefühle, die man rundum fühlt, also in allen Zellen des Körpers, vom Gehirn bis in die Zehennagelspitzen. Du kannst diese Gefühle riechen, hören, sehen, schmecken, fühlen, einatmen und ausatmen. Und es gibt sie in allen »Gefühlsfarben«: Liebe und Glück, aber auch Trauer, Wut und Verzweiflung. Gestern hatte ich vor allem die von der glücklichen Sorte.
Ich würde diese neuentdeckte Gefühlsart ja gern erforschen, aber ich weiß, es geht nicht, man kann sie nur erleben. Ein bisschen was über sie habe ich trotzdem
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