Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
tanzten gestern Abend immer neben Tom und mir. Wenn die Musik schnellere Stücke spielte, tauschten wir die Partner. Tom hat dann mit Maiken getanzt und Felix hat mir den Arm gereicht, um mich zu einem der Bistrotische am Rand der Tanzfläche zu führen.
Als wir dort standen, ist mir aufgefallen, wie Felix Maiken ansah, wenn sie mit Tom an uns vorbeitanzte. Er hat sie förmlich mit den Augen inhaliert. Nein, das ist jetzt kein gutes Wort, aber auch für so einen Blick gibt es keinen Ausdruck in unserer Sprache. Vielleicht könnte man hier von »inhalieben« sprechen?Wie auch immer, Felix sah Maiken an und sie lächelte ihm zu. Und ich war so in Gedanken versunken, dass mir leider etwas herausrutschte, das ich nicht gesagt hätte, wenn ich vorher das Gehirn angeknipst hätte. »Sag mal, wo liegt bei euch eigentlich das Problem? Ihr fresst euch ja förmlich mit Blicken.«
Boah, das habe ich tatsächlich gesagt! Ich glaube, das war der Sekt. Nüchtern wäre mir das nicht passiert.
Aber auch Felix’ Zunge war vom Sekt gelockert und er war kein bisschen sauer. Er lachte sogar. »Wer sagt denn, dass es bei uns ein Problem gibt?«, fragte er.
Na! Das wusste ich ja wohl genau! Ich sah ihn an und zog wieder mal eine Augenbraue hoch. Das sagt oft mehr als tausend Worte.
Jetzt wich Felix meinem Blick aus und starrte stattdessen auf den Bistrotisch. »Müsste man nicht dauernd glücklich sein, wenn man verliebt ist?«, fragte er den Blumenstrauß, der dort stand. »Oder umgekehrt, kann man denn verliebt sein, wenn man gleichzeitig so … Ach, egal.«
»Tja«, sagte ich. »Es gibt eben nicht nur Gefühle in Mono, also reines Glück oder reine Trauer oder so. Echte Gefühle gibt’s eigentlich nur in Stereo oder in Dolby Surround. Und die Rundumgefühle sind die besten. Dabei kannst du gleichzeitig traurig und glücklich und wütend und ängstlich und verzweifelt und verliebt sein.« Jetzt sah er mich aufmerksam an. Ich wollte ihm das noch genauer erklären, aber die Band spielte wieder einen langsamen Walzer und Maiken und Tom kamen auf uns zu, um uns zum Tanz aufzufordern. Und wenig später drehten wir uns zur Musik, bis uns ganz schwindelig war vor Glück.
Und vor Hunger. Ich hatte ja zu Hause beim Abendessen vor lauter Vorfreude auf das Büfett nicht zugegriffen und so langsam knurrte mein Magen. Aber leider war da kein Büfett. Constanze hatte es für 21.30Uhrbestellt, aber es kam und kam nicht. Sie verzog sich mit ihrem Handy in eine ruhige Ecke und kam nach ein paar Minuten mit einer schlechten Nachricht zurück. Sie hatte die Bestellung am Mittwoch geändert, denn das Essen sollte ja an unsere neue Adresse geliefert werden und nicht in die Turnhalle. Aber irgendein Depp beim Partyservice hatte das nicht kapiert und gedacht, sie wolle das Büfett ABBESTELLEN . Da standen wir also und hatten nichts zu essen.
Constanze fand dann eine ungewöhnliche Lösung für dieses Problem. Sie ist einfach aus dem Bahnhof marschiert, zu der Imbissbude gegenüber, und hat den Besitzer gefragt, ob er in der Lage sei, 150 Leute mit Bratwürsten zu versorgen. Und dank einer großen Tiefkühltruhe war er das sogar.
Es hat natürlich eine Weile gedauert, bis alle versorgt waren. Deswegen haben Tom und ich, Maiken und Felix und Dana und Flocke weitergetanzt, bis fast alle gegessen hatten. Auf der Tanzfläche war in dieser Zeit endlich mehr Platz und es war beim Walzertanzen nicht mehr so eng. Essen kann man schließlich immer, tanzen nicht.
Ich glaube, Flocke hat Dana an diesem Abend erzählt, dass er Australien erst mal verschoben hat. Sie sah so süß und glücklich aus, wie ich sie noch nie gesehen habe. Noch wenn wir alt und klapprig sind, werden wir zusammen im Altersheim sitzen und uns daran erinnern, wie sie da in seinen Armen über die Tanzfläche wirbelte und in den Pausen immer mal wieder ein weißes Hundehaar von seinem Ärmel zupfte.
Irgendwann kurz vor dem Ende des Balls wurde unser Hunger dann aber doch zu groß und wir gingen nach draußen, um auch endlich ein Würstchen samt Brötchen zu ergattern. Unsere Vegetarier Maiken und Felix folgten uns nicht, sie waren plötzlich verschwunden.
»Bestimmt teilen sie sich irgendwo einen Müsliriegel«, witzelte Tom. Im Gewühl rund um die Imbissbude verloren wir dann auch Dana und Flocke aus dem Blick.
Ich glaube, in Filmen essen Menschen auf Tanzbällen eher selten Würstchen. Und das ist auch gut so. Es ist nämlich schwer, ein Würstchen zu essen, ohne damit sein
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