Wenn nicht jetzt, wann dann?
Verlust der Liebe von Harvey Sandrock anders verlaufen war, als es mit ihm zusammen verlaufen wäre. Und sie selbst tat sich, wenn sie es recht bedachte, auch ziemlich leid.
Kein Wunder, dass Hannes’ Herz noch immer besetzt war. Kein Wunder, dass sie keinen Platz in seinem Herzen hatte. Vielleicht hatte sie gedacht, wenn sie einen Platz in seinem Garten hatte, wenn sie doch die Hummel in seinem Beet hatte sein dürfen, und er ihr immer Blumen aus seinem Garten mitgegeben hatte, bekäme sie auch einen Platz in seinem Herzen. Ja, das hatte sie geglaubt, aber gegen die Kraft einer verstorbenen Liebe hatte jemand wie Annemie Hummel keine Chance. Das war ihr jetzt klar. Sehr endgültig und schmerzhaft klar.
Nina hatte alle Kleider durchprobiert, und während alle drei anwesenden Damen hingerissen seufzten über diese schöne Braut, schien sie selbst sehr unentschlossen und unglücklich. Sie gefiel sich nicht. Und Annemie wusste plötzlich, warum.
»Schließen Sie mal die Augen«, sagte Annemie, trat neben Nina und hielt ihre Hand, damit sie nicht schwankte.
»Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie stehen vor der Kirche und drinnen wartet Fabian vor dem Altar. Und jetzt tritt Ihr Vater neben Sie und führt Sie langsam den Mittelgang entlang zum Altar, wo Fabian steht und Ihnen erwartungsvoll entgegenblickt. Die Orgel spielt etwas und alle Gäste drehen sich um, um Sie zu bewundern. Wie sehen Sie sich? Welches Kleid tragen Sie?«
Annemie, Frau Schwarz und Frau Heckmann schauten Nina gespannt an. Nina kniff angestrengt die Augen zusammen. Sie sagte nichts. Es war sehr still im Raum, und alle warteten darauf, was Nina wohl sagen würde.
»Wie ist das Kleid?«, fragte Annemie noch einmal.
Nina öffnete die Augen und blickte Annemie hilfesuchend an.
»Ich sehe nichts. Nichts.«
Das hatte Annemie befürchtet. Und das, dachte Annemie, war kein gutes Zeichen. Sie würde ihr jetzt unmöglich auf Wiedersehen sagen können.
Fabian wunderte sich, dass Nina nicht schon längst einen Trauspruch für die Hochzeit ausgesucht hatte. Sie saßen mit dem Pfarrer zusammen und erfuhren gerade alles über die Bedeutung des Trauspruchs, den sie nun für sich wählen mussten. Der Pfarrer legte ihnen ein Buch vor, in dem es unzählige verschiedene Vorschläge gab. Sonst hatte Nina doch immer alles fest im Griff, bevor er überhaupt wusste, dass irgendetwas geplant werden musste. Sie schien ihm etwas blass heute und etwas stiller als gewöhnlich.
»Lassen Sie mich Ihnen ein wenig weiterhelfen in dieser Fülle, die zur Auswahl steht. Also, einer der Favoriten vieler Brautpaare ist aus dem ersten Korintherbrief, das kennen Sie bestimmt auch: ›Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.‹ Wie stehen Sie dazu?«
Da Nina schwieg, ergriff Fabian das Wort.
»Wenn das ein Favorit ist, gibt es nicht auch etwas, was nicht so viele Paare wählen? Etwas, das ein bisschen außergewöhnlicher ist? So wie meine zukünftige Frau?«
Fabian schaute Nina an, und Nina schreckte aus ihren Gedanken auf.
»Wie bitte? Entschuldigung, Schatz, was habe ich gerade verpasst …?«
»Eine versteckte kleine Liebeserklärung«, lächelte der Pfarrer. »Der erste Korintherbrief ist jedenfalls eine Fundgrube, vielleicht lesen Sie ihn sich einmal in Ruhe durch und finden so das Passende. Hier zum Beispiel, 13 , 7 . ›Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.‹«
»›Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch‹«, las Fabian. »Das klingt auch schön. Für mich klingt das richtig, was meinst du?«
Fabian sah Nina an und dachte, sie wird meine Frau sein. Ich werde sie heiraten. Ich werde Nina heiraten. Aber, dachte er, vielleicht will ich doch nicht überall hingehen, wo sie hingehen will. Wenn er das wörtlich nähme, dann müssten sie die Hochzeitsreise ja doch eher ausdehnen. Er las noch ein Stück weiter:
»Oder hier: ›Über alles zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.‹«
»Eine sehr schöne Quelle ist auch das Hohe Lied«, schlug der Pfarrer vor. »Vielleicht schauen Sie auch hier einmal hinein. Es ist etwas stärker im Ausdruck, falls Ihnen das zusagt.«
Der Pfarrer schob Nina ein weiteres aufgeschlagenes Buch zu, in dem einige Stellen markiert waren. Sie schaute darauf und las langsam: »›Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist
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