Wenn nicht jetzt, wann dann?
glaube, heute wird mir das helfen, wenn mir ein Schluck Sekt zu Kopf steigt.«
Vielleicht macht es mir Mut, dachte Annemie und nickte zustimmend. Vielleicht würde ihr der Abschied von Nina leichter fallen, vielleicht würde ihr der ganze Tag leichter fallen, wenn sie ihn mit Sekt übergoss.
Nina legte den Arm um Annemie und drückte sie.
»Ich bin so froh, dass ich Sie habe. Ich weiß, ich bin manchmal ein bisschen schwierig, aber mir fällt das nicht so leicht, mit der ganzen Romantik umzugehen, die anscheinend zu einer Hochzeit dazugehört. Ihnen fällt das einfach so zu!«
Annemie wusste darauf keine Antwort. Warum war Nina ausgerechnet heute so nett zu ihr? Wie sollte sie ihr ausgerechnet heute Lebewohl sagen?
Während Frau Heckmann Kataloge anschleppte und Frau Schwarz mit dem Sektkühler und einem Tablett mit Gläsern um die Ecke kam, lächelte Nina Annemie so herzlich an, dass sie verlegen zurücklächelte, während sie innerlich sehr durcheinander war.
»Sie haben für mich etwas Mütterliches. Ich bin immer gut ohne Mutter ausgekommen, mein Vater hat ja alles für mich getan. Aber vielleicht ist es doch so …«, sie suchte einen Moment nach den richtigen Worten. »Also, ich glaube, wenn man heiratet, dann ist es schön, wenn man eine Mutter hat. Und ich wollte Ihnen nur sagen, es ist schön, dass Sie hier sind.«
Annemie schluckte den Kloß der Rührung in ihrer Kehle hinunter. Dennoch war alles, was sie herausbrachte, ein hilfloses: »Ach Kindchen.«
»Das meine ich! Sehen Sie! Wer sagt schon ›Ach Kindchen‹ zu mir!«
Annemie seufzte. Wie sollte sie ihr jetzt sagen, dass sie alleine weitermachen musste? Sie blätterten gemeinsam durch die Kataloge, und sowohl Annemie als auch Frau Schwarz waren erstaunt, dass Nina auch bei dem ein oder anderen feminineren Modell ins Nachdenken kam.
»Mir geht so viel durch den Kopf«, gestand Nina Annemie, nachdem sie sich einige Modelle zum Anprobieren ausgesucht hatte, die nun von Frau Schwarz und Frau Heckmann herbeigeholt wurden.
»Mein Vater hat meine Mutter so sehr geliebt, dass er nach ihrem Tod nie mehr eine andere Frau lieben wollte. Er ist alleine geblieben, obwohl er sicherlich andere Frauen hätte haben können. Das ist eine ganz große Liebe. Ich weiß nicht, ob meine Liebe so groß ist.«
»Sie haben kalte Füße, das ist ganz normal. Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken.«
Annemie nahm ihre Hand und drückte sie. Vor ein paar Tagen hätte sie noch glücklich geseufzt bei dieser Geschichte. Heute stimmte sie sie nur noch bitterer.
»Ich weiß nicht, ob mein Vater Ihnen die Geschichte erzählt hat, warum Onkel Hannes und er miteinander gebrochen haben?«
Als Annemie stumm den Kopf schüttelte, fuhr Nina fort.
»Sie haben die gleiche Frau geliebt, meine Mutter eben, meinen Vater hat sie aber geheiratet, und dann haben sie mich bekommen. Und dann ist sie gestorben. Und auch bei Hannes war die Liebe so groß, dass er sich für immer von der Welt zurückgezogen hat. Er wollte nicht mehr leben ohne sie.«
In Annemies Kopf begann es zu rauschen. Deshalb hatte er so reagiert, als sie den Namen seines Bruders und seiner Nichte erwähnt hatte. Fast war sie ein wenig erleichtert. Anscheinend war sie gar nicht alleine daran schuld, dass er derart heftig reagiert hatte. Sie konnte gar nichts dafür. Es war die Erinnerung, die ihm zugesetzt hatte. Annemie sah Nina ganz aufgewühlt an, doch Nina bemerkte es kaum, denn sie war in ihre eigenen Gedanken verstrickt.
»Ich glaube nicht, dass ich nie wieder einen anderen Mann lieben könnte, wenn es Fabian nicht mehr gäbe.«
Nina sah Annemie hilfesuchend an, und Annemie versuchte verzweifelt, ihre Gedanken zu sortieren, um Nina antworten zu können.
»Ich glaube, manchmal gibt es so etwas wie die ganz große Liebe. Aber sehr selten. Die gibt es eher in Romanen. Was es öfter gibt, ist eine große Liebe. Wegen der man heiratet. Weil man zusammengehören will. Weil man miteinander glücklicher ist als ohneeinander. Und wie man mit Verlust umgeht, das hat nicht nur mit der Größe der Liebe zu tun. Das ist Typsache. Und Ihr Vater und Hannes scheinen da sehr absolut zu sein, was Liebe angeht.«
»Meinen Sie?«
»Ja«, sagte Annemie und dachte, gestern hätte sie noch an die ganz große Liebe geglaubt. Und irgendwie hatte sie die Geschichte auch sehr gerührt, Hannes tat ihr plötzlich leid. Claus tat ihr leid. Nina tat ihr leid. Und auch ihre Mutter tat ihr plötzlich leid, deren Leben ja auch durch den
Weitere Kostenlose Bücher