Wenn nicht jetzt, wann dann?
stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.‹«
Ihre Stimme schwankte ein wenig, und Fabian dachte, dass das Wort ›Tod‹ im Eheversprechen vielleicht eher nichts zu suchen hatte. Vor allem in Ninas Fall, schließlich wusste er, wie früh sie schon mit dem Tod hatte umgehen müssen.
»›Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn‹«, fuhr Nina fort und schluckte, »›so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken.‹«
Nina schwieg, nachdem sie dies vorgelesen hatte. Der Pfarrer sah sie beide an und schlug vor, dass sie sich zu Hause noch einmal in Ruhe Gedanken machen sollten. Bei ihrem nächsten Traugespräch könnten sie das Thema gerne noch einmal aufgreifen. Fabian und Nina nickten zustimmend, und Fabian wunderte sich ein wenig, dass seine selbstsichere, immer nach vorn preschende Nina heute so still und zaghaft war.
Doch als sie ihn auf dem Heimweg im Auto bat, anzuhalten und ein paar Schritte mit ihr durch die Wiesen zu gehen, und als sie nach einer ganzen Weile stummen Gehens plötzlich anfing zu sprechen, da verstand er leider sehr genau, was los war.
12
L iz wartete auf dem Treppenabsatz, und es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen, dass Natalie ihre Wohnungstür aufschloss. Endlich zu Hause!
Die letzten Stunden im Krankenhaus waren die schlimmsten gewesen. Schlimmer noch als die ersten, als sie mit Schmerzmitteln vollgepumpt worden war, damit sie überhaupt schlafen konnte. Für die Schmerzen, an denen sie jetzt litt, gab es kein Gegenmittel, und der Schock der Erkenntnis, dass Simon ein Lügner und Betrüger war, saß ihr tiefer in den Knochen als der Schock des Unfalls.
Jedes Mal, wenn sich die Tür ihres Krankenzimmers geöffnet hatte, war sie in fürchterlicher Angst erstarrt, dass es Simon sein könnte. Sie hätte nicht gewusst, was sie ihm sagen sollte. Ein Gespräch dieser Art wollte sie überhaupt nie mehr führen. Sie wollte niemanden mehr bitten, ihr etwas zu erklären, sie wollte von niemandem mehr wissen, warum und weshalb, sie wollte nicht fragen müssen, warum gerade sie, und vor allen Dingen wollte sie die Antworten nicht hören. Die gestammelten, die gelogenen und auch die ehrlichen nicht. Sie wollte nichts dergleichen hören. Das Einzige, was sie wollte, war: Dr. Simon Friedrich so rasch und so komplett wie nur möglich zu vergessen.
Sie humpelte auf den Krücken durch ihre Wohnung und sah, dass Annemie Hummel nicht nur für sie gebacken hatte, sie hatte auch aufgeräumt und gelüftet und Blumen hingestellt. Was für ein Engel sie war. Auf Frauen war vielleicht doch mehr Verlass als auf Männer. Claire einmal ausgenommen.
Während Natalie ihre Sachen auspackte, humpelte Liz zum Küchenfenster und öffnete es. Ein winziger Vogel, der direkt auf der Fensterbank gesessen haben musste, flog völlig verschreckt davon und blieb ein Stück entfernt auf einem Balkongeländer sitzen, wo er in heftigstem Stakkato laut lostrillerte. Liz war beinah so erschrocken wie dieser kleine Vogel, und dann sah sie, dass sie ihn anscheinend aus seinem Nest verscheucht hatte, denn in einer Ecke ihrer Fensterbank entdeckte sie ein sehr ordentlich gebautes, kugeliges Nest mit einem kleinen runden Schlupfloch.
»’tschuldigung«, rief sie dem Vogel zu und humpelte langsam zurück in die Küche, damit er erkannte, dass sie keine Gefahr darstellte und zurück in sein Nest fliegen konnte. Es rührte sie, dass in ihrer Abwesenheit ein Nestbau stattgefunden hatte, dass sich ein winziger Vogel gerade ihre Fensterbank ausgesucht hatte.
Nachdem Natalie mit dem Versprechen, abends wiederzukommen, gegangen war, setzte sich Liz an ihren Computer, um nachzusehen, was für ein Vogel sich da eigentlich bei ihr niedergelassen hatte. Sie gab den Suchbegriff »heimische Vögel« ein und fand schnell heraus, dass es ein Zaunkönig oder eine Zaunkönigin sein musste. Er hatte zwar keine Krone, wie sie sich das zu dem Namen immer vorgestellt hatte, aber er war winzig und die Farbe seines Gefieders entsprach der Beschreibung. Als sie nachlesen wollte, wie lange das Brüten wohl dauern würde und wie lange die ganzen kleinen Zaunprinzen und -prinzessinnen ihre Küchenfensterbank besetzen würden, staunte sie nicht schlecht. Zaunkönige waren ja ganz gerissene, hochpolygame Kreaturen! Sie bauten sehr kunstvoll mehrere Nester und setzten sich dann stundenlang singend und balzend davor, um eine Zaunkönigin anzuwerben. Mit etwas Glück kam eine
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