Wenn nicht jetzt, wann dann?
war froh, dass Nina es erkannt hatte. Rechtzeitig erkannt hatte.
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Als Dankeschön. Sie waren so lieb zu mir, und ich war manchmal etwas biestig zu Ihnen. Hier, das ist etwas ganz Weiches, das wird Sie trösten, falls mal wieder jemand wie ich kommt und biestig ist. Verzeihen Sie mir, bitte?«
»Ach Kindchen …«
Annemie nahm Nina in den Arm.
»Ich bin natürlich sehr traurig, aber ich bin froh, dass Sie den Mut haben, sich das alles einzugestehen. Das war bestimmt nicht leicht. Haben Sie es denn Ihrem Vater schon gesagt?«
»Der ist der Nächste. Er wird enttäuscht sein. Ich habe fast mehr Angst, es ihm zu sagen als Fabian.«
»Nina, er liebt Sie über alles. Er wird immer nur das Beste für Sie wollen. Und auch wenn das Beste etwas anderes ist, als Sie die ganze Zeit dachten, dann wird er das verstehen. Vielleicht nicht sofort. Aber er wird Sie verstehen. Ich wäre jedenfalls stolz darauf, wenn meine Tochter so einen Mut an den Tag legte. Und ich wäre stolz darauf, Sie zur Tochter zu haben.«
Nina ergriff Annemies Hände und drückte sie fest.
»Jetzt packen Sie aber mal aus«, sagte Nina. »Ich will sehen, wie es Ihnen steht.«
Annemie nahm das kleine Päckchen, das Nina vor sie hingelegt hatte, und öffnete es. Aus dem Papier schaute etwas sehr Blaues heraus. Etwas leuchtend Hyazinthblaues, was sich sehr weich anfühlte.
»Oh«, entfuhr es Annemie, »das ist ja ein Schal, das ist diese besondere Wolle!«
»Paschmina. Gefällt er Ihnen?«
»Er ist wunderbar. Wie sind Sie bloß darauf gekommen? Ich hatte fast den gleichen in der Hand, und er war mir viel zu teuer … ach Nina«, seufzte Annemie. »So viel hätten Sie aber nicht ausgeben dürfen.«
»Ich bin froh, Sie kennengelernt zu haben. Ich darf Sie doch besuchen, wenn ich von der Reise zurück bin? Und wenn ich Ihren mütterlichen Rat brauche?«
»Jederzeit, ob Sie Rat brauchen oder auch einfach so. Jetzt kommen Sie noch mal her, Kindchen, und lassen Sie sich umarmen.«
Die beiden hielten sich einen Moment fest im Arm, und dann sprang Nina los, in ein neues Leben, von dem sie noch gar nicht gewusst hatte, dass es die ganze Zeit schon auf sie gewartet hatte. Auf der letzten Stufe drehte sie sich noch einmal um.
»Sagen Sie das bitte Frau Baumgarten, dass wir den Auftrag zurückziehen? Um diesen ganzen formellen Kram wird sich bestimmt mein Vater kümmern. Und es wird nicht zum Nachteil für Sie sein, keine Angst. Und noch mal danke! Danke für die Entscheidungshilfe!«
Damit sprang sie davon und rannte beinahe Liz um, die sich mit Hilfe des Taxifahrers gerade mühsam aus dem Taxi geschält hatte und nun einbeinig vor ihrem Hochzeitsfieber auf den Krücken balancierte und überlegte, ob sie genug Kraft haben würde, die vier Stufen ohne fremde Hilfe hochzukommen.
»Was war denn das?«, fragte Liz Annemie, die noch winkend in der feuerwehrroten Ladentür stand und nun überrascht die Hand sinken ließ.
»Oh, Liz, meine Liebe, was machen Sie denn hier?! Warten Sie, ich helfe Ihnen hoch …«
Annemie half Liz die Treppe hoch, in den Laden hinein und sie auf einen der Stühle zu hieven, die um den großen Tisch standen.
»Frau Hummel, was war das eben? Habe ich da richtig gehört? Jemand zieht seinen Auftrag zurück? Was sollen Sie mir ausrichten? Wer war das?«
»Nina Winter.«
Annemie sagte es ganz leise, denn in ihrem Mitgefühl für Nina Winters schwierige Entscheidung hatte sie gar nicht mehr daran gedacht, dass es für Liz Baumgarten ja eine ganz wichtige Hochzeit gewesen wäre. Aber eine Hochzeit mit einer unglücklichen Braut wäre auch für Liz kein schöner Anblick gewesen.
Liz vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Das darf ja wohl nicht wahr sein«, murmelte sie.
»Sehen Sie«, versuchte Annemie zu erklären, »die junge Frau war nicht glücklich, sie hat bei all den Vorbereitun-gen gemerkt, dass sie gar nicht heiraten will, dass sie ihren zukünftigen Mann gar nicht so liebt, wie sie sollte …«
»Ach, und wie sollte man denn lieben? Spricht da etwa die Expertin? Fragen Sie Frau Hummel?! O mein Gott, ich hätte Sie niemals in den Laden lassen dürfen … Frau Hummel und Hochzeitsvorbereitungen. Herrje, das Mädel hat ein bisschen kalte Füße bekommen, das ist doch normal!«
»Frau Baumgarten, das waren mehr als kalte Fü…«
»Da redet man der jungen Frau etwas Mut zu, erzählt eine Geschichte von einer anderen jungen Braut, die auch mal zweifelte und heute glücklich verheiratet
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