Wenn nicht jetzt, wann dann?
Varianten. Aber Hauptsache, alles endete gut. Annemies dritte Freude begann stets in dem Moment, in dem Liz abends klingelte und von ihrem aufregenden Leben als Hochzeitsplanerin erzählte. Wenn sie eine neue Torte bei Annemie bestellte und das Brautpaar beschrieb, für das sie die Hochzeitstorte backen konnte. Annemie liebte diese kleinen Geschichten, die ein Brautpaar umwebten, und am allermeisten gefiel es ihr, die Torten nach Herzenslust zu verzieren und zu formen. Wenn sie Liz später ihre Werke präsentierte, musste sie manchmal ganz schön kämpfen, damit noch ein paar Herzchen übrig bleiben durften. Warum waren die modernen jungen Frauen bloß so unromantisch? Da hatte Liz den romantischsten Beruf der Welt und fand, dass sich auf ihren Torten zu viele Girlanden wanden oder zu viele Tauben turtelten. Das Leben war doch schon karg genug! Es konnte wenigstens am Hochzeitstag mal so richtig gerüscht und gerankt zugehen.
Gerade weil sich durch Liz die Freuden in ihrem Leben vervielfacht hatten, war es einfach ihre Pflicht, ihrer Nachbarin zu helfen. Auch wenn es ihr wirklich schwerfiel.
Nachdem Annemie sich angezogen, die Haare zurechtgezupft und mit Spray eingenebelt, die Dose mit den Petit Fours, den Schlüssel und den Busplan zurechtgelegt hatte, waren es noch immer fast drei Stunden. Doch sie beschloss, lieber früher da zu sein, denn so wie sie Liz kannte, gab es auch dort bestimmt noch das eine oder andere aufzuräumen. Außerdem musste sie sich ja auskennen in dem Laden. Musste wissen, wo die Bildbände standen, wo sich die Mappe mit den bereits erprobten Locations befand. »Lokeeschens«. Liz hatte es ihr dreimal vorgesagt, aber das Wort klang aus ihrem Mund ganz komisch. Sie würde Orte sagen. Die Orte, an denen Liz bereits Hochzeiten ausgerichtet hatte. Die sollte sie den Winters mal vorlegen, um vorab einen ganz allgemeinen Rahmen und einige Vorstellungen abzustecken, so es diese denn schon geben sollte. Genauere Vorschläge dazu wollte Liz dann im Krankenhaus ausarbeiten. Und diese »Lokeeschens« musste sich Annemie in der Mappe ja vorher selbst noch anschauen. Neben der Angst, die ihr im Nacken saß und im Magen und in den Knien ebenfalls, spürte sie im Oberkörper links, ganz in der Nähe des Herzens, aber auch so etwas wie ein aufgeregtes Flattern.
Es war das erste Mal, dass sie alleine zum Hochzeitsladen fuhr, den Schlüssel aus ihrer Handtasche holte, als würde sie dort arbeiten, als wäre es ihr eigenes Geschäft, und die rote Tür aufschloss. Als sie eintrat, war aus dem Herzflattern ein Herztoben geworden, und sie musste ein-, zweimal tief Luft holen, bis sich der Sturm in ihrer Brust gelegt hatte und sie sich richtig umsehen konnte. Sie erkannte sofort, dass Liz für den Anlass aufgeräumt hatte. Sie roch die Hyazinthen, die einen üppigen Duft verströmten, schon bevor sie sie erblickte, und warf einen Blick in die kleine Teeküche. Auch die war blitzsauber, und die Tassen standen gespült im Regal. Annemie rückte sie automatisch gerade, so dass alle Henkel in eine Richtung zeigten, sie konnte einfach nicht anders, und sie schaute in die Kaffeedose, aus der ihr frischer Kaffeeduft entgegenströmte. Liz hatte an alles gedacht. Nur nicht daran, dass sie leider eine unwürdige, unfähige Vertreterin haben würde, die all ihre schönen Bemühungen mit schlafwandlerischer Sicherheit zunichtemachen würde. Warum musste sie auch gerade gestern einen Unfall haben? Warum hatte Annemie nicht die Dinge machen dürfen, die sie konnte: Blumen holen, Küche aufräumen, frischen Kaffee besorgen. Warum musste gerade Annemie, die nun wirklich die unromantischste Ehe überhaupt geführt hatte und nun so ein einsames Leben lebte, warum musste gerade sie nun eine junge Braut vor ihrer Hochzeit beraten?
Sie blickte in den Spiegel, in dem sie sich von Kopf bis Fuß sehen konnte, und trat probeweise auf sich zu, um sich die Hand zu schütteln.
»Guten Tag«, sagte sie zaghaft zu ihrem Spiegelbild. »Ich bin Frau Hummel, und ich vertrete Liz Baumgarten.«
Nein, das war viel zu ernst. Und zu schüchtern. Sie ging noch einmal einige Schritte zurück, um es erneut zu versuchen.
»Guten Tag«, lächelte sie sich mit breit verzogenen Lippen an. Das sah grässlich aus. So ging das nicht.
»Guten Tag«, versuchte sie es noch einmal, mit ihrem kleinen, schüchternen Lächeln, und seufzte. »So wie ich aussehe, geben Sie Liz den Auftrag ganz gewiss nicht. Ich habe auch keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.
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