Wenn nicht jetzt, wann dann?
laufen, und Liz müsste sie stundenlang beruhigen, bis die Mutter ihr glaubte, dass Liz weder sterben noch lebenslang behindert sein würde. Das war zu viel für sie heute. Außerdem wusste sie noch gar nicht, was wirklich mit ihr los war. Wenn sie mit ihrer Mutter sprach, brauchte sie genaue Fakten, um deren ausgeprägte Phantasie im Zaum halten zu können. Sie seufzte einmal so abgrundtief, dass die alte Dame aus dem Bett nebenan besorgt zu ihr herüberschaute. Da hatte sie die Aussicht auf ein Butterbrötchen mit Kaffeeplörre zum Frühstück und bekam es noch nicht einmal hin, die Butter auf dem Ding zu verteilen. Sie schlug mit dem Messer auf ihr Brötchen ein und ließ es dann sein. Entnervt lehnte sie sich zurück und schloss die Augen, das Buttermesser noch aufgerichtet in der Hand.
»Schwierigkeiten?«
Liz sah einen Weißkittel vor sich stehen. Aha. Der wollte nun Untersuchungen mit ihr machen, bevor sie überhaupt gefrühstückt hatte.
»Nach was sieht es denn aus?«, fragte sie patzig, hob das Messer ein Stück hoch und stutzte überrascht, als eine schlanke Männerhand ihr das Messer aus der Hand nahm, um die Butter schön gleichmäßig auf ihr Brötchen zu schmieren.
»Gehört das hier zum Service, oder muss ich dafür den dreifachen Satz zahlen?«
Vorsichtig drehte Liz den Kopf nach oben, wo sie in ein grinsendes, noch etwas verschlafen wirkendes Gesicht schaute. Sympathisch. Die Frischekompetenz der Schwester vorhin hatte ihr mehr Unbehagen eingejagt, denn Frühaufsteher weckten bei ihr schon immer Schuldgefühle.
»Damit schmeichele ich mich bei Ihnen ein, damit Sie denken, ich bin nett, und bei den Untersuchungen kooperieren.«
Der Arzt lächelte sie an, und sofort fand sie ihn nicht mehr sympathisch. Sie fand, dass er viel zu gut aussah, um auch noch Arzt zu sein. Bestimmt war er ein selbstgefälliger Macho, der jedem Schwesternkittel nachjagte und sich für unwiderstehlich hielt. Genauso sah er aus. Zu allem Überfluss hatte er auf einer Seite ein Grübchen, wenn er grinste. Sein Grinsen war etwas schief. Was ihn interessanter machte, als wenn es gerade gewesen wäre. Bestimmt hatte er das schiefe Grinsen vor dem Spiegel geübt, um besser mit seinen Patientinnen flirten zu können. Und dann hatte er auch noch schöne Augen. Ihre Mutter hätte sofort einen meterhohen Schutzwall errichtet.
»Friedrich, mein Name. Ich bin der diensthabende Orthopäde und würde mir heute Morgen gerne mal Ihren Allerwertesten und Ihre Beine anschauen«, er streckte ihr seine Hand entgegen und sie schüttelte sie vorsichtig.
»Normalerweise werde ich davor zumindest auf ein Glas Sekt eingeladen. Wenn nicht gar zu einem eleganten Abendessen.« Liz brummelte unwillig vor sich hin. Noch nicht einmal ihren dünnen Kaffee konnte sie in Ruhe schlürfen.
»Ich habe Ihnen immerhin Ihr Brötchen geschmiert. Wenn Sie gnädig sind, lassen wir das heute mal gelten.«
Er schlug Liz’ Bettdecke zurück und wollte nach ihrem Fuß greifen, als Panik in Liz hochstieg.
»Sie tun mir jetzt aber nicht weh, oder? Nicht vorm Frühstück?!«
»Ich kann es nicht versprechen. Leider. Ein paar Tests muss ich machen, damit wir entscheiden können, wie wir operieren.«
»Operieren …?«
Liz versagte vor Schreck die Stimme. Das durfte ja wohl nicht wahr sein. So viel Pech auf einmal.
»Warum habe ich so ein Pech?« Liz spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, und dachte, sie wolle jetzt ganz bestimmt nicht weinen. Nicht vorm Frühstück und nicht vor diesem Arzt.
»Sie hatten Glück, wissen Sie das?«
»Alle erzählen mir einen vom Glück! Finden Sie, dass man Glück hat, wenn man im Krankenhaus liegt, man nicht weiß, was weher tut, der Hintern oder das Bein oder der Kopf, und man sich noch nicht mal sein Brötchen selber schmieren kann? Und mein Kaffee zu Hause schmeckt auch besser. Au!«
Sie schrie vor Schmerz leise auf, denn Dr. Friedrich hatte versucht, ihren Fuß zu drehen.
»Und normalerweise jage ich Kerle weg, die an meinem Bein rumfummeln und mir dabei auch noch weh tun.«
Liz kämpfte mit den Tränen, obwohl sie doch tapfer sein wollte. Am allerliebsten aber wollte sie, dass dies alles ein Traum war, aus dem sie gleich erwachte, um einen schönen Tag zu beginnen.
»Jetzt müsste ich Sie umdrehen. Geben Sie mir mal Ihren Arm, dann ziehen Sie sich am besten selbst hier herüber, so dass Sie auf der Seite liegen.«
Liz nahm seinen Arm und ließ sich helfen, während sie wütend durch die Zähne fluchte
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