Wenn nicht jetzt, wann dann?
hatte? Toller erster Eindruck. Ihr fiel kein Vorwand ein, wie sie sich je herausreden könnte. Das war einfach zu viel für sie. Sie würde alles falsch machen. Für diese Situation gab es kein Backrezept, dessen Zutaten sie ordentlich vor sich hinstellen konnte, um sie dann in der richtigen Reihenfolge unter langsamem oder starkem Rühren zu vermischen. Mit Teig kannte sie sich aus. Hiermit nicht. Sie wollte nur noch weg. Und zwar so schnell wie möglich. Sie könnte einen Zettel an die Tür kleben, wegen Krankheit muss der Termin leider ausfallen. Ja, das war die rettende Idee. Einen Zettel musste Liz doch haben und Tesafilm zum Festkleben bestimmt auch. Dass sie darauf nicht früher gekommen war! Annemie schaute in Liz’ Schreibtisch nach und fand das Gesuchte. Gerade als sie den Stift ansetzte, klimperte ein Türglöckchen hell und fröhlich und zwei Menschen betraten den Laden, die Annemie verdutzt ansahen. Denn in Annemies Haar saß zierlich und etwas schief noch immer der weiße blütenbesetzte Brautkranz.
Liz hatte einen Moment lang nicht die geringste Ahnung, wo sie war. Als sie aufwachte, wusste sie jedoch sofort sehr genau, dass sie sich nicht in ihrem eigenen Bett befand. Außerdem lag sie auf dem Rücken, was sie sonst nie tat, und alles fühlte sich fremd an. Kein Wecker hatte geklingelt. Kein Wecker! Wie viel Uhr war es wohl? Hatte sie verschlafen? Mit einem Schrecken wollte sie hochfahren, doch sie konnte sich überhaupt nicht bewegen, alles tat so weh. Und dann fiel ihr wieder ein, was passiert war, und sie überließ sich seufzend dem Kissen, das hinter ihrem Kopf ein Knäuel bildete, und bedauerte sich. Die sonnenblumengelben Vorhänge des Krankenzimmers waren noch zugezogen und tauchten alles in ein orangegelbes Licht, so dass sie das Gefühl hatte, sie liege in einer Orange. Leider roch es nicht so fruchtig frisch. Es roch eindeutig nach Krankenhaus. Liz fragte sich, wie dieser Geruch wohl zustande kam? Es wurde gelüftet, es wurde geputzt, und dennoch roch es so muffig und kränklich, dass Liz fast Atembeklemmungen bekam. Wenn sie zu viel von dieser Luft einatmete, würde sie am Ende immer kränker werden.
Sie sah sich mit einer behutsamen Kopfdrehung in dem Zimmer um. Ihr Kopf war schwer und schmerzte, wenn sie ihn bewegte, sie hatte das Gefühl, ihn langsamer als Zeitlupe drehen zu müssen, damit sie es überhaupt hinbekam. Vom gelben Fenster, das sich zu ihrer Rechten befand, blickte sie vorsichtig nach links. Dort war die Tür. Das war gut zu wissen. Es war immer besser, wenn man die Fluchtwege kannte. Unpraktisch war nur, dass sie noch nicht einmal in der Lage war, alleine weglaufen zu können. Von Wegrennen ganz zu schweigen. Dabei war gerade Wegrennen genau das, was sie in diesem Moment am liebsten getan hätte. Zur Tür hin stand ein weiteres Bett, in dem eine Frau leise schnarchend schlief. Sie konnte nicht genau erkennen, wie alt sie war oder was ihr wohl fehlte. An ihrem Bett stand ein Gehwagen. Ein Gehwagen! Am Ende würde sie auch so ein Ding haben müssen. Gestern noch ein Rennrad, heute ein Rollator. Sie versuchte in ihr Bein hineinzuhorchen, ob sie wohl fähig sein würde, mit Hilfe eines Rollators den Fluchtweg anzutreten, doch schon der leiseste Versuch, einen Muskel anzuspannen, tat so weh, dass sie den Fluchtgedanken vorerst beiseiteschob.
In diesem Moment öffnete sich die Tür mit Schwung, und eine weiß gekleidete Schwester schmetterte ein viel zu fröhliches »Guten Morgen, die Damen!« in den Raum. Aus dem Nachbarbett grunzte es kurz, und als die Schwester entdeckte, dass Liz ihre Augen bereits geöffnet hatte, steuerte sie energisch auf sie zu, steckte ihr mit zackiger Bewegung ein Fieberthermometer ins Ohr, was schon eine Sekunde später piepste, band eine Manschette um ihren Arm und begann sie aufzupumpen, um Blutdruck zu messen. Flink trug sie die Werte in eine Tabelle ein, fragte, ob Liz gut geschlafen habe, kündigte an, dass sie ihr ausnahmsweise den Kaffee ans Bett bringe und dass der Arzt sie gleich nach dem Frühstück ansehe, danach wäre sie sicher ein wenig im Haus unterwegs, damit zur Visite später alle Daten vorlägen. Liz nickte nur stumm, das waren viel zu viele Informationen für sie. Aber die Schwester erwartete sowieso keine Antwort. Noch während Liz nickte, hatte sie bereits ihrer Zimmernachbarin die Manschette umgelegt und Liz ihren breiten, kompetenten Rücken zugekehrt. Liz war ganz unwohl bei dem Gedanken, dass jemand schon am frühen
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