Wenn nicht jetzt, wann dann?
schon. Das freut mich. Ich bin Liz Baumgarten. Vom Fahrrad gefallen. Und so wie es sich anfühlt, ist viel kaputt. Das werden wir ja bei der Visite nachher alles ganz genau erfahren.«
»Bestimmt!«
Rosi Schäfer senkte die Stimme ein wenig, um ganz vertraulich zu klingen, und raunte zu Liz hinüber: »Ich höre dann mal mit zu, zusammen kann man sich das alles besser merken, was die einem sagen! Und dieser Medizinjargon! Ihre Vorgängerin und ich haben das auch immer so gemacht. Zusammen zugehört und hinterher haben wir alles noch mal besprochen.«
Na super, dachte Liz, und laut sagte sie: »Danke schön. Ach, wissen Sie, ich mach mal noch ein wenig die Augen zu und ruhe mich aus. Wenn Sie erlauben. Ich glaube, ich bin schon wieder müde.«
»Ach, Sie armes Dingelchen … und ich plappere und plappere, schlafen Sie mal noch ein bisschen, ich bin ganz leise.«
Nach einer Weile kamen tatsächlich keine Laute mehr vom Bett nebenan, und Liz sortierte ihre Gedanken. Das Denken dauerte irgendwie länger als sonst. Bestimmt hatte sie eine Gehirnerschütterung. Spätestens jetzt, da sie erfahren hatte, dass sie operiert werden musste, war sie erschüttert. Eine Operation! Eine Narkose! Davor graute ihr am allermeisten. Da hatte sie überhaupt nichts mehr im Griff. Wusste noch nicht einmal, ob sie je wieder erwachen würde. Grauenhaft. Liz gehörte zu den Menschen, die schon bei der kleinsten Abgabe von Kontrolle in Panik gerieten. Sie war ein entsetzlicher Beifahrer, in Aufzügen stellte sie sich direkt neben die Tafel mit den Knöpfen, um schnell darauf herumdrücken zu können, falls der Aufzug etwas tun sollte, was sie nicht wollte. Sie machte lieber alles selbst und überließ so wenig wie möglich anderen. Dann wusste sie wenigstens, dass und wie es gemacht worden war. Und jetzt wurde sie operiert, und Frau Hummel traf die Juweliersfamilie Winter, während sie hilflos im Bett lag. Großartig. Hoffentlich bekam Annemie Hummel alles gut hin.
Hoffentlich.
3
A nnemie riss sich blitzschnell das Kränzchen vom Kopf und wäre am liebsten einfach weggerannt. Aus der signalroten Tür hinaus, nichts wie weg, nur weg! Weil das nicht ging, wäre sie als Nächstes am liebsten drei Meter tief im Boden versunken, und weil auch das nicht ging, versuchte sie mit dem letzten Mut der Verzweiflung, gute Miene zum schlechten Start zu machen. Sie legte das Kränzchen beiseite, lächelte ihre beiden etwas verdutzt dreinschauenden Besucher an, bat sie höflich herein, bot ihnen einen Platz am Tisch an und entschuldigte sich kurz, ob die Herrschaften sich doch bitte einen ganz kleinen Moment gedulden könnten, während sie rasch den Kaffee nach vorne hole. Kaum in der kleinen Kochnische angekommen, lehnte sie sich gegen die Wand und atmete tief durch.
»Ruhig bleiben«, sprach sie sich Mut zu. »Bleib ruhig. Der Anfang ist vermasselt, schlimmer kann es nicht werden. Ruhig bleiben. Weitermachen. Weitermachen. Einfach weitermachen.« Sie atmete tief ein, während sie mit etwas zittrigen Händen das Tablett ergriff, um zurückzugehen.
»Das ist sie nicht. Hier bleibe ich nicht«, hatte Nina ihrem Vater in ihrer bestimmten Art, die keinen Widerspruch duldete, zugeraunt. Doch Herr Winter hatte zurückgeraunt, dass sie jetzt erst einmal abwarten würden, was nun käme. Denn obwohl er sich eine angesagte Hochzeitsplanerin anders vorgestellt hatte als diese zugegebenermaßen etwas altbacken gekleidete Dame mit dem Blütenkränzchen im Haar, so hatte ihn der kurze verstörte Blick aus ihren Augen tief getroffen. Veilchenblau. Diese Augen waren so tiefblau, wie er es in seinem ganzen Leben nur ein einziges Mal gesehen hatte. Bei Evelyn. Nie wieder hatte er Augen von derartig blauem Blau gesehen. Er musste unbedingt noch ein wenig länger hierbleiben, allein um noch einmal einen Blick aus diesen Augen zu erhaschen.
Nina sah ihren Vater überrascht von der Seite an.
»Papa, was um Himmels will–«
Sie verstummte, denn die Frau im Karoblazer kam mit einem Tablett zurück, das sie auf den Tisch stellte, um sich dann schüchtern gegenüber auf einen Stuhl zu setzen.
Annemie holte tief Luft und begann sehr schnell und viel zu leise zu reden, so dass Nina und Claus Winter fast gleichzeitig nachfragen mussten.
»Wie bitte …?«
»Entschuldigung, was haben Sie gerade …«
Wieder war es dieses ungewöhnliche Blau aus Annemies Augen, das Claus Winter sofort verstummen ließ und eine Bereitschaft in ihm weckte, seine Ohren zu spitzen und
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