Wenn nicht jetzt, wann dann?
auf, als Liz mit einem Mal einfiel, dass es ja die Torte auszuliefern galt. Die schnörkellose Torte für das sachliche junge Paar.
»Frau Hummel, ist die Torte wirklich schlicht und ohne Schnörkel?«
»Ja«, erwiderte Annemie zögernd.
»Wirklich?«
»Fast.«
»Gut. Dann los, die Adresse liegt auf dem Stapel neben dem Telefon, es war irgendetwas mit Blumen im Namen, rufen Sie sich ein Taxi, holen Sie die Torte und bringen Sie Ihr Werk selbst dorthin. Das klappt noch, wenn Sie gleich loslaufen. Vorne an der Ecke ist doch ein Taxistand. Da stehen immer ein paar Wagen!«
Annemie legte auf, fand einen Zettel mit der Adresse Gladiolenweg, das musste sie sein, schnappte sich ihre Handtasche, schloss ordentlich ab und lief zum Taxistand.
Natürlich stand kein Taxi da. Nur eine Rufsäule, von der sie nicht wusste, wie man sie überhaupt bediente. Doch weiter vorne, die Straße hinunter, sah sie ein Taxi, das auch noch gerade in ihre Straße einbog, und Annemie versuchte zu winken, so wie sie es schon in Filmen gesehen hatte. Doch der Wagen machte keinerlei Anstalten anzuhalten. Er fuhr einfach weiter. Sie schaute auf die Uhr und spürte, wie eine kleine Hitzewelle ihr den Rücken hinaufkroch und den Nacken feucht werden ließ. Auch das noch. Ein weiteres Taxi fuhr vorbei, sie winkte derart heftig mit ihrer Handtasche, dass sie sich sehr albern dabei vorkam. Doch immerhin reagierte der Fahrer. Er deutete nach oben zum Himmel, was immer das auch heißen mochte. Sollte sie etwa beten? Dann sah sie ein weiteres Taxi, das direkt auf den Taxistand zufuhr und nach einem erneuten erniedrigenden Taschenschwenken vor ihr anhielt.
»Junge Frau, hier ist doch der Taxistand, da halten wir sowieso an, da brauchen Sie gar nicht zu winken!«
Junge Frau! Machte der sich etwa lustig über sie?
»Aber die anderen sind alle vorbeigefahren!«
»Dann waren die Kollegen wahrscheinlich besetzt.« Er machte die gleiche Handbewegung nach oben, die der vorherige Fahrer auch gemacht hatte, und sie nickte, als ob sie alles verstünde.
»Und?« Er warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Was?« Annemie sah ihn verständnislos an. Was war denn nun schon wieder?
»Wohin soll’s denn gehen?«
Annemie errötete erneut, und die Hitzewelle begann sich vom Rücken her auszubreiten. Sie stellte sich aber auch wirklich dumm an.
Sie nannte ihre Adresse, die Adresse des Hochzeitspaares, beschrieb, was sie vorhatte, und der Taxifahrer fuhr los, so dass sie sich kurz zurücklehnen konnte, um Atem zu schöpfen, bis sie ankamen.
Als das Taxi in der Spohrstraße vor ihrer Wohnung hielt, lief sie nach oben, holte die Torte, die schon im Karton bereitstand, und hob rasch den Deckel, um ihr Werk noch einmal zu betrachten. Nun, schnörkellos konnte man es nicht gerade nennen. Es war eben eine Hochzeitstorte. Es saßen keine Tauben darauf, und sie hatte auch keine Zuckerherzchen auf der Glasur verteilt. Aber in den Schokoladenranken, die sich um die Torte wanden, saßen silberne, süße Liebesperlen, die ihrem Werk einen gewissen Glanz verliehen. Schließlich handelte es sich doch um eine Hochzeitstorte! Sie trug sie vorsichtig in ihrem sperrigen Karton die Treppe hinunter. Als sie das gemeistert hatte, versuchte sie, zusammen mit der Torte ins Taxi einzusteigen, ohne dass irgendetwas in Schieflage geriet. Es war tatsächlich gar nicht so einfach, eine Torte zu transportieren.
»Jetzt fahren wir mal ein bisschen vorsichtiger«, beschloss der Taxifahrer zu Annemies Erleichterung ganz von selbst und lieferte sie kurz darauf beinahe pünktlich vor dem schmucklosen Mehrfamilienhaus ab. Annemie klingelte, wurde von einer jungen blonden Frau in einem schmalen Etuikleid aus hellgrauer Seide hineingebeten und setzte den Karton auf den Tisch.
»Wo ist denn die Braut?«, fragte Annemie in Erwartung eines hübschen weißen Kleides, das sie in ihre nächsten Träume mit einbeziehen könnte.
»Steht vor Ihnen!«, sagte die junge Frau, und Annemie schluckte das »Aber«, das sofort in ihr aufstieg, schnell hinunter. Meine Güte, eine Hochzeit in Grau, dachte sie. Wie wird dann erst der Alltag werden?
Doch laut sagte sie: »Oh, da gratuliere ich Ihnen aber herzlich, alles Gute für Ihre Ehe und viel Glück und Zufriedenheit miteinander.«
»Danke, danke«, wehrte die Braut, die gar nicht danach aussah, ab. »Wir heiraten, weil es einfach günstiger kommt. Steuerlich gesehen, wissen Sie. Natürlich lieben wir uns«, fügte sie wie zur Rechtfertigung hinzu, als sie
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