Wenn nicht jetzt, wann dann?
erzählen gab, außer peinlichen Geschichten über ihre Herkunft oder langweiligen Geschichten über ihr ereignisloses Schulleben, redete Margot Ansbach schon munter weiter.
»Magst du eigentlich Kartoffelpuffer? Ich mach euch jetzt ein paar Kartoffelpuffer, und wenn ihr eure Hausaufgaben erledigt habt wie brave kleine Schulmädchen, dann backen wir zusammen Kuchen.«
Annemie und Konstanze kicherten und wurden ins Bad gescheucht zum Händewaschen. Die Seife war rosa und roch nach Blumen und ganz anders als zu Hause, wo Seife einfach nur nach Seife roch. Während das Wasser von ihren duftenden Händen tropfte, wusste Annemie bereits mit unumstößlicher Sicherheit, wie sie einmal sein wollte, wenn sie groß war: genau wie Konstanzes Mutter. Das Mittagessen war so lustig, dass Annemie richtig schwindelig davon wurde. Frau Ansbach war so hübsch und lachte so laut, dass ihr Pferdeschwanz im Nacken auf und ab wippte. Sie war sogar zu Hause geschminkt, und sie trug viel schickere Kleider als ihre Mutter. An das Hausaufgabenmachen mit Konstanze konnte sich Annemie überhaupt nicht mehr erinnern, nur an dieses federleichte Gefühl von Heiterkeit. Und das Backen. Bei Annemie zu Hause war noch nie gebacken worden. Sie hatten nie Besuch und für sie beide, fand Luise Zabel, lohne es sich nicht zu backen. Manchmal holten sie sich zum Wochenende ein Stück Kuchen in der Bäckerei. Aber Annemie hatte noch nie gesehen, wie man Eier trennt, so dass die goldgelben Dotter in die eine Schüssel glitten und das glibberige Eiweiß in eine andere. Sie hatte noch nie Eischnee geschlagen, wusste nicht, wie roher Teig schmeckt, wie es war, eine Kuchenform in den heißen Ofen zu schieben und danach die Schüssel auszulecken. Sie durften sogar mit den Fingern darin herumkratzen und sich die Hände ablecken – das hätte es bei ihr zu Hause bestimmt nicht gegeben. Und das Beste war: Weil Konstanzes Mutter Marmorkuchen backen wollte, gab es zwei Schüsseln.
»Für jede eine!«, lachte die Mutter.
»Hier, die blonde Annemie bekommt den blonden Teig und die brünette Konstanze den brünetten Teig!«
Der Duft, der sich in der Wohnung ausbreitete, als der Kuchen im Ofen buk, war wundervoll, und als der Marmorkuchen endlich zum Abkühlen auf einem Rost stand, konnten die beiden Mädchen es kaum erwarten, ihn anzuschneiden und zu probieren.
»Eigentlich muss er erst abkühlen, von warmem Kuchen bekommt man Bauchweh.«
Doch Margot Ansbach grinste, während sie dies sagte, und ihr Pferdeschwanz wippte bekräftigend.
»Ein bisschen Bauchweh nehmen wir aber in Kauf für warmen Marmorkuchen, oder?«
Sie stimmten jubelnd zu und deckten den Tisch, während die Mutter noch mit einem Löffel Puderzucker durch ein kleines Sieb strich, so dass es kräftig auf den Kuchen schneite. Dicke, warme weiche Scheiben süßen Kuchens landeten auf drei Tellern, und dazu gab es für die Mädchen eine Tasse Milch mit einem Schuss Kaffee und für die Mutter eine Tasse Kaffee mit einem Schuss Milch.
»Das ist wie Geburtstag.« Annemie strahlte mit Krümeln im Gesicht. »Nur schöner.« Annemie biss wieder in den Kuchen und verstand nicht, warum Konstanzes Mutter plötzlich so traurig guckte und ihr übers Haar strich. Als sie ging, zwinkerte die Mutter ihr zu. »Komm bald wieder. Konstanze hat nicht so viele Freundinnen, die so nett sind wie du. Dann backen wir wieder Kuchen, hm?«
Beseelt erzählte Annemie ihrer Mutter abends von dem Nachmittag und dem Kuchen und fragte, ob sie denn auch einmal backen könnten. Doch ihre Erzählung perlte an Luise geradezu ab. Sie reagierte kaum, zuckte dann und wann die Achseln und erwiderte auf Annemies Frage nur knapp: »Irgendwann einmal«, bevor sie aufstand, um das Geschirr abzuräumen und ihrer Tochter zu verstehen zu geben, dass sie nichts mehr hören wollte. Annemie blieb mit dem Gefühl am Tisch sitzen, dass sie etwas furchtbar falsch gemacht hatte. Nur was? Es war doch so ein schöner Nachmittag gewesen.
Ab da ging sie einmal pro Woche zu Konstanze. Beim nächsten Besuch backten sie Apfelkuchen und dann Zitronenkuchen. Annemie war stets mit roten Wangen dabei und wusste nicht, worüber sie sich am meisten freute. Dass sie eine Freundin hatte? Dass diese Freundin eine nette Mutter hatte, die so war, wie sie einmal werden wollte, wenn sie groß war? Dass sie backen lernte? Dass sie die Teigschüssel auslecken durften? Dass sie zusammen Kaffee tranken und Kuchen aßen und es jedes Mal aufs Neue wieder schöner war als
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