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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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Annemies Wissen im Vertrauen zuraunte, sie befürchte, dass Annemie dabei war, sich nach etwas anderem umzusehen. Etwas mit Backstube. Wenige Tage später kam die Bäckerin in den Laden und tat freudestrahlend kund, sie hätte es endlich geschafft, ihren Mann zu überreden, das Mädel freitags und samstags morgens ein paar Stunden zum Kuchenbacken dazuzuholen. Sie hoffte, Annemie würde sich so ungeschickt anstellen, dass ihr Mann sie schon bald wieder in den Verkauf zurückschickte. Doch da hatte sich die Bäckersfrau getäuscht. Annemie lebte in der Backstube richtiggehend auf, und der Bäcker überließ ihr mit der Zeit immer mehr Eigenverantwortung, zumindest was das Kuchenbacken betraf. An die Brote ließ er niemanden, aber die süßen Backwerke gehörten immer mehr in Annemies Ressort, und sie konnte sich nach Herzenslust ausprobieren. Wenn sie nachmittags verkaufte, was sie gebacken hatte, und die Kunden später von dem Streuselkuchen schwärmten, dann war Annemie einfach nur glücklich. Die Bäckerei wurde in diesen Jahren zu einem richtigen Zuhause für sie.
    Obwohl Waltraud Annemie nicht überreden konnte, sich wie sie samstags nachmittags bei einem Friseur als Frisurenmodell zur Verfügung zu stellen, um umsonst frisiert zu werden, obwohl sie den Lippenstift, den Waltraud ihr schenkte, kaum benutzte und nie am Wochenende mit ihr ausging, hatte Annemie schneller einen festen Freund als ihre lebensfrohe Kollegin.
    Annemie lernte Rolf in der Bäckerei kennen. Jeden Morgen kaufte er bei ihr auf dem Weg zur Arbeit ein Hörnchen oder ein Brötchen zum Frühstück. Obwohl sie morgens meist zu zweit im Verkauf waren, schien er es stets genau abzupassen, dass sie ihn bediente. Nachdem er an die drei Dutzend Hörnchen und mindestens genauso viele Milchwecken bei ihr gekauft hatte und Annemie sie für ihn wie immer in eine kleine bedruckte Tüte gesteckt und ihm das Wechselgeld zurückgegeben hatte, wandte er sich eines Morgens nicht wie sonst zum Gehen, sondern blieb einfach stehen. Sie hatte ihm einen Milchweck in die Tüte gesteckt und ihm vier Pfennig Wechselgeld gegeben, und beides hielt er in der Hand, während er stocksteif stehen blieb und sie ansah. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie sich alleine im Laden befanden. Gerade als sie ihn fragen wollte, ob er noch etwas wünsche, wurde er ein wenig rot und brachte dann sein Anliegen vor, nämlich, ob sie mit ihm ins Kino gehen würde, am Samstag. Im ersten Moment verstand Annemie gar nicht, dass dies offensichtlich eine Einladung zu einem Rendezvous war. Allein schon aus Überraschung darüber sagte sie ja. Am nächsten Tag schaute sie sich den jungen Mann genauer an, als er morgens sein Hörnchen kaufte. Er war ein bisschen älter als sie, er trug ein Hemd mit einem Pullunder und darüber ein Jackett, dessen Ärmel ein klein wenig zu kurz waren, und seine Schuhe waren sehr sauber geputzt. Er hatte warme braune Knopfaugen, und als er sie anlächelte, wurde er wieder ein wenig rot.
    Annemie war verblüfft. Sie hatte so gut gelernt, die Antennen auszuschalten, mit denen sie Signale empfing und mit denen sie ihre eigenen Signale in die Welt sendete. Und nun waren auf unergründlichen Wellenlängen anscheinend doch irgendwelche Signale gesendet worden. Denn Rolf-Dieter Hummel hatte sie bemerkt.
    Sie schauten zusammen im Kino Filme an, sie gingen Eis essen, sie machten Spaziergänge und erzählten sich aus ihrem Leben. Sie erzählten sich, was sie am Tag erlebt hatten, und Annemie dachte, sie hätte jemanden gefunden, mit dem sie das Ehemann-und-Ehefrau-Spiel ihrer Kindheit für immer würde spielen können. Als sie seine Eltern kennenlernte und, auf deren Sofa sitzend, all ihre freundlichen Fragen beantwortete, musste sie insgeheim lächeln und dachte, sie wäre nun unter Hummeln geraten. Der Name gefiel ihr. Er klang weich und warm und lebendig.
    Ihre Mutter beobachtete das alles mit Skepsis und warnte sie, sich ja kein Kind anhängen zu lassen.
    »Sonst endest du noch so wie ich.«
    Annemie nickte bloß und dachte, wenn sie ein Kind hätte, würde sie alles ganz anders machen. Sie würde ihrer Tochter nach der Schule Mittagessen kochen und ihr bei den Hausaufgaben helfen. Sie würden dabei ganz viel lachen. Später würden sie zusammen Kuchen backen. Und furchtbar viel Puderzucker darüberstreuen. Abends würde sie ihr vorlesen und ihr noch einmal übers Haar streichen, bevor sie das Licht ausschaltete und die Tür einen Spalt weit offen ließ, damit sie

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