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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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Geburtstag? Selbst an das schlechte Gewissen, das sie danach hatte, angesichts ihrer schweigsamen Mutter, hatte sie sich schon fast gewöhnt. Auch wenn sie nie mehr den Fehler machte, allzu viel von ihrem Nachmittag bei Ansbachs zu erzählen: Etwas rutschte ihr doch immer heraus, und sie konnte sehen, wie ihre ohnehin schon wortkarge Mutter sich noch mehr vor ihr verschloss.
    Herrn Ansbach bekam Annemie nie zu Gesicht. Sie hätte gerne gewusst, welcher Mann zu einer Frau wie Konstanzes Mutter gepasst hätte. Auf dem Hochzeitsfoto im Wohnzimmer sah er toll aus in seinem dunklen Anzug. Er sah aus wie ein Filmstar, und Annemie stellte sich vor, dass die beiden noch so glücklich verliebt waren wie am ersten Tag. Doch als sie Konstanze fragte, ob sie ihren Vater mal sehen dürfte, antwortete diese, es sei besser, wenn sie ihm nicht begegnete, er hätte nicht gerne andere Kinder im Haus, deshalb musste sie ja auch immer gehen, bevor er nach Hause kam. Das fand Annemie zwar irgendwie seltsam, sie wusste nicht genau, warum, aber es passte einfach nicht zusammen, passte weder zu den Kuchennachmittagen noch zu dem Lachen im Haus.
    Wenn sie vor dem Hochzeitsfoto stand, stellte sie sich vor, wie wunderschön diese Hochzeit gewesen sein musste, wie glücklich Margot Ansbach als Braut gestrahlt hatte und wie perfekt alles gewesen war. Zu Annemies einsamen Nachmittagsspielen zu Hause gesellte sich ein neues Spiel dazu, das sie mit großem Eifer spielte: das Hochzeitsspiel.
    Ein paar Wochen lang war Annemies Leben herrlich, doch dann kam sie eines Tages mit Konstanze in deren Wohnung und die Frau, die sonst so wunderschön strahlte, öffnete ihnen die Tür, und ihr Gesicht war blass und durchscheinend. Das war nicht die Frau, die Annemie kannte. Während sie noch bestürzt in der Tür stand, war Konstanze schon in die Wohnung getreten und hatte ihre Mutter an der Hand genommen, um sie in das Elternschlafzimmer zu ziehen.
    »Leg dich hin, Mama«, hörte Annemie Konstanze flüstern. Sie folgte ihnen vorsichtig und sah durch den Türspalt, wie Konstanze ihrer Mutter die Schuhe von den Füßen nahm, ihr die Hose auszog und sie sanft aufs Bett drückte, zudeckte und ihr über den Kopf strich. Dann lief sie ums Bett herum zum Fenster, zog die Vorhänge zu und kam zurück zu Annemie.
    »Was hat sie denn?«, flüsterte Annemie. »Ist sie krank?«
    »Ja«, sagte Konstanze. »Im Kopf, weißt du. Mein Vater sagt, sie ist wie eine Uhr, die manchmal nicht richtig tickt und die immer mal wieder in Reparatur muss. Manchmal liegt sie nur ein paar Tage im Bett, und dann steht sie auf und alles ist wie vorher, dann hat sie sich selbst repariert. Und manchmal muss sie ins Krankenhaus. Dann kommt meine Oma und passt auf mich auf.«
    Die Wohnung, die sonst so warm und freundlich war, schien plötzlich trist und leer und ohne den Kuchenduft auch nicht mehr so schön wie vorher. Annemie bemerkte auch, dass es nicht sehr sauber war. Das war ihr noch nie aufgefallen. Der Nachmittag mit Konstanze war ohne ihre lustige, hübsche Mutter ein bisschen zäh. Natürlich backten sie keinen Kuchen, und sie trauten sich nur zu flüstern, um Konstanzes Mutter nicht zu stören. Annemie war froh, als es Zeit war zu gehen.
    Später beim Abendessen mit ihrer Mutter war sie sehr schweigsam, und als ihre Mutter ein paar Tage darauf sagte, sie wolle nicht mehr, dass Annemie so oft mit Konstanze spielte, sie habe gehört, deren Mutter habe es an den Nerven, und da wisse man nie, woran man sei, da war Annemie klar, dass die Nachmittage, die wie Geburtstagskuchen schmeckten, nun endgültig der Vergangenheit angehörten.
    Doch Annemie hörte nicht auf zu backen. Sie hatte sich alle Rezepte gemerkt, und wenn genug Geld in der Haushaltskasse war, dann kaufte sie Eier und Butter, Kakao oder Zitrone. Irgendwann entdeckte sie sogar ein Backbuch im Regal ihrer Mutter und probierte neue Rezepte aus. Das Lachen von Konstanzes Mutter fehlte, auch Konstanze fehlte ihr. Alleine zu backen war einfach nicht dasselbe. Aber es war immer noch besser, als gar nicht zu backen. Und der Kuchenduft barg bittersüße Erinnerungen. Süß, weil sie so schön waren, und bitter, weil alles vorbei war.
    Nach der Schule hätte Annemie gerne Konditorin gelernt, aber ihre Mutter hatte sie ausgelacht. Ob sie glaube, etwas Besseres zu sein? Konditorin! Das klang ja schön gespreizt. Sie solle keine Lehre machen, sondern lieber zusehen, dass sie rasch Geld verdiene und ihr nicht mehr auf der Tasche liege.

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