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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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die Glückswellen durch sie hindurchrieseln ließen, und ging lächelnd durch die Welt.
    Es machte ihr sogar nichts mehr aus, dass die Bäckerei sie beurlauben wollte. Die Bäckersfrau meinte, in der Nähe von schwangeren Frauen ginge der Hefeteig nicht auf und im Verkauf mache sich eine Schwangere auch nicht gut. Außerdem wäre es für eine werdende Mutter doch auch viel schöner, die Füße hochzulegen.
    Wenn Annemie zu Hause Hefeteig machte, gelang das jedes Mal hervorragend, was sie nicht wunderte, sowohl der Teig als auch ihr Bauch gingen so gut auf, dass man förmlich dabei zusehen konnte. Doch es störte Annemie nicht im Geringsten, dass sie in der Bäckerei nicht mehr willkommen war. Sie trug ihr kleines Glück in sich. Dies kleine Glück, das ihr keiner nehmen konnte. Das glaubte sie bis zu dem Tag, an dem sie mit Blutungen in die Klinik eingeliefert wurde und wie durch einen Filter hindurch wahrnahm, wie rot das Blut auf den weißen Laken aussah, wie kühl die Flüssigkeit aus einer Nadel in ihren Arm floss, wie schrecklich die Schmerzen waren, die genau an dem Ort in ihrem Körper tobten, an dem ihr kleines Glücksgefühl seinen Ursprung gehabt hatte, wie sachlich der Arzt sprach, der irgendwann, als alles vorbei war, an ihr Bett trat.
    »Sie haben Ihr Kind verloren. Aber Sie sind ja noch jung. Warten Sie ein paar Monate, dann versuchen Sie es wieder. Das wird schon.«
    Die Schwester, die neben dem Arzt stand, hatte mitleidig ihre Hand gehalten, ihr eine Tablette gegeben und gemurmelt, sie solle jetzt erst einmal schlafen.
    »Es geht vorbei. Das glauben Sie mir jetzt nicht, aber ich weiß es. Es geht vorbei.«
    Aus diesem dunklen Schlaf war sie am nächsten Morgen mit einem furchtbaren Druckgefühl am Arm erwacht. Im ersten Moment hatte sie gar nicht gewusst, wo sie war und was das alles bedeutete. Aber dann verstand sie, dass ihr Blutdruck gemessen wurde, dass sie im Krankenhaus war, dass sie ihr Kind verloren hatte. Ihr Kind war tot. Annemie wollte in diesem Moment auch nicht mehr leben. Sie glaubte der Schwester, die gesagt hatte, es würde vorbeigehen, kein Wort. Und allein der Gedanke daran, »es« noch mal zu versuchen, war in diesem Moment einfach grauenerregend.
    Ihr Kind war tot. Und mit dem Kind waren alle Träume gestorben. Welchen Traum hätte sie nun noch träumen können? Sie saß in der Falle. Wie ihre Mutter war sie in eine Falle getappt. Nur dass ihre Mutter in die Kinderfalle gelaufen war und sie in die Ehefalle. Wie viel lieber wäre sie in die Kinderfalle gelaufen! Wie viel lieber wäre sie ihre Mutter gewesen.
    Die Tage im Krankenhaus verschwammen zu einem einzigen Wachtraum aus Schmerz und Enttäuschung. Ihr Bauch, der sie vor kurzem noch so glücklich gemacht hatte, war leer und tat weh. Niemand wollte sie. Ihre Mutter nicht, ihr Mann nicht und auch ihr ungeborenes Kind nicht. Manchmal krallte Annemie sich ins Kopfkissen, um nicht laut hinauszuschreien. Doch meist lag sie fast apathisch da. Es war egal, ob sie die Augen geöffnet oder geschlossen hatte, denn sie sah sowieso nichts außer ihrem Kummer. Die Dumpfheit, die sich in ihrem Körper ausbreitete, nachdem der schlimmste Schmerz abgeklungen war, füllte sie aus, und sie fand das beruhigend. Dumpfheit war besser als Schmerz. Nur die Manschette, die immer wieder zum Blutdruckmessen aufgepumpt wurde, riss sie für kurze Minuten aus der Apathie und brachte ihr deutlich in Erinnerung, wo sie sich befand und warum.
    Annemie schaute den weißen Krankenhausflur hinunter und trank noch einen Schluck von dem Wasser, das die Schwester ihr hingestellt hatte.
    Sehr lange hatte Annemie nicht daran gedacht.
    Sehr lange nicht.

5
    S imon Friedrichs Handy klingelte. Er sah schon am Display, dass es Sandra war. Und er konnte sich denken, worum es ging. Es ging jedes Mal um Leonie und darum, wie sehr er als Vater versagte. Entweder Sandra beschwerte sich, er wolle seine Tochter zu oft sehen, was grundsätzlich immer dann der Fall war, wenn er es sich wünschte. Oder sie klagte, er kümmere sich »überhaupt gar nicht«, was ihm immer dann vorgeworfen wurde, wenn er wegen seines Dienstplanes in der Klinik sein musste. Er hätte Leonie gerne bei sich behalten nach der Trennung, er hätte sie gerne großgezogen. Wenn er ehrlich war, vermisste er seine Tochter entsetzlich. Leonie lernte so viel in so kurzer Zeit. Wenn er sie einmal zwei Wochen lang nicht sah, hatte er stets das Gefühl, wahnsinnig viel verpasst zu haben. Er beschloss, erst nach der

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