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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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braunen Wildlederhalbschuhe. Das Wetter war heute so frühlingshaft, dass sie ihren braunen Rock und dazu eine hellblaue Bluse angezogen hatte, darüber trug sie den hellen Mantel, der sie schon seit vielen Jahren durch den Frühling begleitete. Sobald sie den warmen Wollmantel weghängen konnte und den hellen Popelinemantel hervorholte, war Frühling, und es konnte passieren, dass sie die ersten Hummeln sah, die mit noch schweren, kalten Flügeln ihre ersten taumelnden Flugversuche in der Sonne machten. Das beglückte Annemie immer so sehr, dass sie meist stehen blieb, um ihnen zuzuschauen, und sich freute, als ob sie es selbst wäre, die ihre steifen Glieder dem Licht entgegenreckte, um endlich auch einmal zu fliegen.
    Als sie in den Bus stieg, der sie in die Nähe des Ortes bringen sollte, wo sie die Gärtnerei vermutete, fragte sie den Busfahrer, ob er wüsste, wo man am besten ausstieg, um zur Gärtnerei Winter zu kommen. Der Busfahrer sah noch nicht einmal auf, während er mit der ihm eigenen Höflichkeit brummelte, er sei kein Auskunftsbüro. Annemie nahm auf einem der Vierersitze Platz und wurde von der Frau, die ihr gegenübersaß, angesprochen.
    »Ich glaube, das ist die Gärtnerei in der Staufenstraße. Da steigen Sie Welfenstraße aus, und von da ist es nicht mehr weit.« Sie nickte bekräftigend. »Ich sag Ihnen dann Bescheid. Ich fahre dort immer vorbei.«
    Bevor Annemie sich bedanken konnte, mischte sich der Herr, der hinter ihr saß, in das Gespräch mit ein.
    »Vielleicht meint die Dame aber auch diese Gärtnerei weiter außerhalb. Ich meine, auf dem Schild stünde Winter, das ist mir mal aufgefallen, weil ich noch dachte, Winter ist ja nicht so ein passender Name für eine Gärtnerei, und vielleicht geht sie deshalb nicht so gut. Sie sieht nämlich ein bisschen heruntergekommen aus, müssen Sie wissen.«
    »Weiter außerhalb klingt richtig«, antwortete Annemie und drehte sich halb zu dem Herrn um. »Und ›heruntergekommen‹ ist wahrscheinlich auch eine treffende Beschreibung. Die muss es sein.«
    »Aber was wollen Sie denn dort, gehen Sie doch lieber in die Gärtnerei in der Staufenstraße, die sind sehr nett. Da kauf ich immer. Und bin jedes Mal zufrieden.«
    »Das werde ich mir merken«, antwortete Annemie höflich. »Aber diesmal muss es die Gärtnerei Winter sein, vielen Dank für all die guten Ratschläge.«
    »Dieser Winter ist ein Brummbär.«
    Jetzt mischte sich noch jemand vom Zweiersitz gegenüber ein. Eine etwas jüngere Frau hatte anscheinend auch etwas dazu beizutragen.
    »Ich war einmal dort, und der hat mich hochkant wieder rausgeworfen! Ich solle mich verziehen, aber plötzlich, seine Blumen sind nicht zu verkaufen! Herumgeschrien hat der, da habe ich aber gesehen, dass ich Land gewinne! Also, machen Sie sich auf etwas gefasst.«
    »Oh.« Annemie wurde ein bisschen blass. »Das muss er sein. Aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht.«
    Als sie ausstieg, nachdem ihr noch zweimal auf drei Arten der Weg beschrieben und sie zur Vorsicht ermahnt worden war, hatten sich die Fahrgäste im Bus so lebhaft über Gärtner und Pflanzen, Qualitäten von Zwiebeln und Setzlingen ausgetauscht, dass Annemie es schon zu bedauern begann, keinen Garten zu haben. Es klang so schön, wie die Leute darüber redeten. Und sie waren alle freundlich gewesen. Vielleicht war der Gärtner Winter doch auch ein freundlicher Mensch. Sich mit Tulpenfarben und Sonnenblühern zu beschäftigen müsste einen Menschen eigentlich freundlich stimmen.
    Dennoch ging Annemie mit einem etwas mulmigen Gefühl in die Richtung, die ihr im Bus beschrieben worden war. Was, wenn dieser verschollene Bruder tatsächlich ein Verrückter war? Wenn er sie mit der Harke vom Gelände vertreiben würde? Sie war nicht besonders schnell. Und Verrückten sagte man ja enorme Kräfte nach. Unsinn, sagte sie sich, um sich zu beruhigen. Herr Winter hätte sie niemals hierhergeschickt, wenn es auf irgendeine Weise gefährlich sein könnte. Andererseits hatte er seinen Bruder selbst lange nicht gesehen. Und dass er seltsam war, war nie bestritten worden.
    Mit klopfendem Herzen stand sie vor dem vergilbten Schild, auf dem in altmodischer Schrift »Gärtnerei Winter« stand. Das Schild war vielleicht einmal grün gewesen, oder blau, das ließ sich nicht mehr genau sagen, und der geschwungene Schriftzug, der jetzt von einem blassen schmutzigen Weiß war, hätte einst gelb gewesen sein können. Es hing über einem rostigen Tor, das nicht

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