Wenn nicht jetzt, wann dann?
Schneiderin ausgerichtet, und Frau Hummel hatte eine Torte als Knopfschachtel dekoriert, die so aussah, als ob unzählige, verschieden große, rosa und rote Zuckergussknöpfe aufgenäht waren. Seit sie zusammenarbeiteten, wurden auch die Kuchen, die unter der Dekoration steckten, immer besser. Nie zuvor hatte Liz so saftigen Schokoladenkuchen, so lockeren Biskuit und so fein abgestimmte Petit Fours gegessen. Seit Liz ihr einmal gestanden hatte, dass sie eine Schwäche für Petit Fours habe, bekam sie immer wieder ein Tellerchen mit drei, vier kleinen bunten, mit Schokoschnörkeln und Zuckerperlen verzierten Würfeln.
»Ach, die sind nur zum Probieren. Da ist mir die Dekoration nicht richtig gelungen«, winkte Frau Hummel jedes Mal schamhaft ab, wenn Liz ihr dankte. »Ich wollte mal testen, ob es besser schmeckt, wenn man Himbeer- mit Johannisbeergelee mischt und ein paar Tropfen Amaretto in das Marzipan gibt.«
Liz beschloss, Frau Hummel zu fragen, ob sie noch ein paar Petit Fours vorrätig hatte. Die würde Liz dem Juwelier morgen anbieten. Als kleinen Vorgeschmack auf alles, was man bei ihr bekommen konnte.
Liz sauste durch ihren Tag. Beflügelt von dem Gedanken an den morgigen Termin, gelang es ihr sogar, den großen Tisch leer zu räumen und alle dort befindlichen Katalog- und Papierstapel einzusortieren. Als sie losging, um frischen Kaffee zu besorgen, atmete sie fröhlich die Frühlingsluft ein, die nach dem langen Winter so grün und frisch roch, dass man tatsächlich spürte, wie die gesamte Natur wieder begonnen hatte, zu wachsen und zu sprießen. Sie kaufte einen ganzen Korb voller blauer Hyazinthen und stellte sie in die Mitte des hellen, leeren Tisches. Sie bedufteten den Laden bis in die hinterste Ecke. Der Tisch müsste immer so aufgeräumt sein, dachte Liz, und es sollten immer frische Blumen darauf stehen. Sie war so gut gelaunt, dass sie die Laufmasche, die sie sich in ihre Strumpfhose riss, als sie einen Stoß Ordner im hintersten Regal verstauen wollte, nicht als böses Omen wertete. Genauso wenig Beachtung schenkte sie im Überschwange dieses Tages der Tatsache, dass das Pizzastück, das sie später bei der kleinen Stehpizzeria an der Ecke holte, ihr ausgerechnet mit dem Belag nach unten auf den Boden fiel. An anderen Tagen hätte Liz diese Zeichen vielleicht beachtet, hätte innegehalten und ihr Tempo gedrosselt. Doch das Einzige, was an diesem lauen Frühlingstag das Tempo bremste, und das sehr abrupt, waren die Reifen des Autos, das Liz’ Fahrrad unsanft erwischte, während sie auf ihrem Heimweg abends viel zu schnell und fröhlich pfeifend um die Ecke bog. Diese Reifen quietschten unschön, und Liz hörte den schrillen Ton noch immer in ihren Ohren nachhallen, während sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Notarztwagen von innen sah.
»Da haben Sie aber verdammtes Glück gehabt«, sagte der Sanitäter, der auf der Fahrt ins Städtische Krankenhaus neben ihr saß.
Liz blickte starr nach oben und dachte nur, das dürfe doch alles nicht wahr sein. Als sie den Kopf drehte, um zu schauen, wer hier diesen Blödsinn redete, schrie sie vor Schmerz auf. Ihr tat alles weh. Alles. Sie wusste gar nicht, dass ihr Körper so viele Stellen hatte, die so weh tun konnten.
»Glück?« Liz war verzweifelt. »Was verstehen Sie denn unter Glück? Für mich ist das Pech. Schwarzglänzendes Pech! Mein Hinterteil tut höllisch weh, ich weiß gar nicht, wie ich es überhaupt aushalten kann, auf meinem Rücken zu liegen, mein Arm brennt wie Feuer, und wo ist eigentlich mein Fahrrad?«
»Machen Sie sich mal keine Sorgen um Ihr Rad, das lässt sich ersetzen, aber Ihr Kopf nicht. Und der sitzt noch fest. Also würde ich mal sagen: Glück gehabt!«
Der Sanitäter beugte sich über sie und kontrollierte den Sitz der Halskrause, die man ihr sofort angelegt hatte.
»Sie sind mit dem Kopf auf Ihren Arm gefallen, deshalb können Sie wenigstens noch schimpfen. Die Leute, die hier drinnen schimpfen können, haben alle Glück gehabt. Richtig schlecht geht’s denen, die keinen Piep mehr sagen, wenn sie hier auf der Trage liegen. Die haben Pech. Sie nicht. Das Bein kann man auch wieder zusammenflicken.«
Liz verstand nicht gleich. Das Bein? Was war denn mit ihrem Bein?
»Alles relativ«, brummte der Sanitäter. »Alles. Ich geb Ihnen mal was gegen die Schmerzen.«
Sie wollte gerade fragen, was mit ihrem Bein sei, als sie spürte, wie eine kühle Flüssigkeit sich von ihrer Armbeuge her auszubreiten begann, und schon
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